Mittwoch, 25. Juni 2014

Mein ganzes Leben ist nur Urlaub

Als Ehefrau eines Wissenschaftlers an der University of California in Berkeley habe ich das Glück, dass ab und zu auch an mich gedacht wird. Regelmäßig erhalte ich Einladungen zu Karriere-fördernden Workshops, denn das International House der Uni, hat das Wohlergehen des Anhangs mit im Blick. Klar, dann bleiben die Männer ja auch lieber hier, wenn ihre Frauen nicht mehr so großes Heimweh haben. Dabei bin ich nicht die erste Wissenschaftlerfrau, der es schwer fällt, Job, Familie, Freunde und Heimatstadt zu verlassen, um dem werten Gatten und seinem Ruf in ein fremdes Land zu folgen. Am Anfang hat mich das Ganze ja sehr gereizt, die Umsetzung ist für mich aber wesentlich schwerer als gedacht. Und weil ich mir hier mein Leben komplett neu erfinden muss, ist es auch härter als für meinen Mann, dessen Lebensmittelpunkt nach wie vor die Arbeit ist (wobei sich nicht einmal die Sprache geändert hat, wie schon zu Hause spricht er im Büro Englisch.) Ähnliches habe ich inzwischen von vielen Frauen aus den verschiedensten Ländern gehört. Und leider sind es meistens die Frauen, die das für die Karriere des Mannes (oder den Abendteuergeist der Familie) auf sich nehmen, auch wenn bei der Uni ein paar wenige Männer im Mail-Verteiler stehen.

Leider finden die meisten Karriere-Workshops zu kinderunfreundlichen Zeiten statt, nach einem langen Tag beim Tagesvater, wenn das Töchterchen die Mama am meisten braucht. Aber immerhin, habe ich eine kostenlose Karriereberatung geschenkt bekommen - und das in San Francisco, bei einer professionionellen Beraterin! Ich bin also in den wichtigen Financial District gefahren, habe eines dieser alten schicken Hochhäuser betreten (mit Mega-Kronleuchter über dem Empfang, einer Messing-Hausrohrpost und Marmor-vertäfelten Fluren!) und habe mich in ein kleines, feines Wartezimmer gesetzt, wo Jazz dudelte. (Warum nur fühlte ich mich wie in einen Woody-Allen-Film versetzt?!)


Hobart Building auf der Market Street von 1914. Gilt als "Landmark" - Denkmal.








Mein Choach ist eine dynamische aber kleine Frau, die mich vor allem viel über meine Sicht auf Amerika und die Leute hier ausgefragt hat. Ich glaube, sie fand das sehr interessant. Ist es ja auch. Wenn man selbst im System steckt, sieht man ja oft das Verbesserungspotential nicht. Hier - so fällt mir auf - ist es für Frauen besonders schwer zu arbeiten, wenn die Kinder noch klein sind, da der Staat keine Kinderbetreuung bis zum "kindergarten" zahlt. Der fängt aber erst mit fünf an und ist praktisch ein Jahr Vorschule. Die Kleinkindbetreuung ist dagegen unendlich teuer (das habe ich bereits hier beschrieben). Auch wird den Frauen der Arbeitsplatz nicht ein, oder gar drei Jahre frei gehalten. Also müssen sich die Mütter entscheiden: Zurück in den Job und das Baby zur Nanny geben oder doch noch etwas vom Kind genießen? Elterngeld gibt es hier selbstverständlich keines, das wäre doch Sozialismus! Ist die Frau erst einmal draußen aus dem Job, ist das Dranbleiben schwer, noch mehr als in Deutschland, denn der Markt der Wettbewerber ist groß, vor allem in Kalifornien.

Einige Frauen machen eine Tugend daraus und erklären es zu ihrem höchsten Ziel, nur noch für ihre Kinder und ihr Heim da zu sein. Ob das nur aus Idealismus geschieht oder auch, weil sie sich keine Kinderbetreuung leisten können, ist eine andere Frage. Und da Amis ja leicht zum Extrem tendieren, ist das dann auch ein hingebungsvoller Job, der mit vielen Programmen (man kann Unterrichtseinheiten über verschiedene Erziehungsfragen nehmen), zur Religion gewordenen Überzeugung (z.B. "Attachment Parenting" = Bindungsorientierte Elternschaft) oder gleich Homeschooling (die Mutter wird zur Lehrerin der eigenen Kinder und gibt somit jegliches Eigenleben für die Kindererziehung auf)  einhergeht. Was früher vor allem rechtskonservative Christen praktizierten, ist plötzlich auch für linke Feministinnen ein Muss: Die Kinder sollen nicht vom bösen (oder Nichts wissenden) Staat vorgeschrieben bekommen, wie sie leben bzw. lernen sollen. 

Um wieder auf mein Coaching zurückzukommen: Wir mussten gemeinsam feststellen, dass der deutsche Lebenslauf mit den persönlichen Angaben und obendrein Lichtbild diskriminierend ist. In den USA ist das verboten. Was sagt ein steifes Passbild über meine Qualifikationen aus? Und was mein Geburtstdatum? Und da in Deutschland jeder Personalchef die Nachteile abwägen muss, die eine Frau mit sich bringt (sie könnte demnächst wegen Mutterschaft längere Zeit ausfallen), stellt er Frauen um die 30 ohne Kind wahrscheinlich aus Prinzip nicht ein. Jedenfalls war das meine Vermutung als ich nach dem Studium arbeitslos in der Gegend herumsaß. Die amerikanische Vorgehensweise hat also Vorteile und wir sollten uns in Deutschland gegen diese Art der Diskriminierung schleunigst wehren!

Neben den kulturellen Unterschieden, die das Gespräch zum Thema machte, habe ich einige Tipps mit nach Hause genommen und Entscheidungen gefestigt, die ich schon vorher hatte: 

Da die Hälfte unserer Zeit hier bereits vorbei ist, werde ich keine Arbeitserlaubnis mehr beantragen. Über die genauen Hintergründe schreibe ich an anderer Stelle mehr. Hätte ich von Anfang an gewusst, dass ich hier eine "work permission" beantragen kann, hätte ich es auch gemacht. Leider habe ich es erst spät erfahren und die Bearbeitungszeit beträgt bis zu fünf Monaten. Ich glaube nicht, dass ich dann noch einen super gut bezahlten Traumjob finde, wenn ich nur bis November hier bleibe (auch wenn mich kein Personalchef danach fragen darf).

Ich suche mir Freiwilligenarbeit. Das ist hier der absolute Hit. Erstens ist das die Antwort auf einen mangelnden Sozialstaat, unzählige "volunteers" helfen in Essenspeisungen für Obdachlose, geben Immigranten Englischunterricht oder schicken Bücher an Gefangene (nicht sehr angesehene Aufgabe!), Eltern helfen in den Schulen ihrer Kinder oder beim Sommer-Camp, Rentner weisen in Theatern Plätze zu, weil sie dann die Stücke kostenlos mit ansehen dürfen (eine sehr beliebte Aufgabe!). Auf der anderen Seite beflügelt so ein Volunteer-Job auch die Karriere:  Oft lernt man bei der Freiwilligenarbeit auch seinen zukünftigen Chef kennen, denn wenn eine Stelle frei wird, wird die Wahl wohl auf jemanden fallen, dessen Arbeitsweise er schon kennt. Relativ wenige Arbeitsplätze werden hier nach Stellenanzeigen vergeben, oft werden gar keine Anzeigen geschaltet. Studenten müssen sich in der Uni mit einbringen, weil ein exzellentes Studium allein nicht mehr reicht.

Ich selbst habe mich mit Hilfe meiner Selbsthilfegruppe nach dem Motto umgeschaut, ich mache nur etwas, was mir wirklich Spaß macht. Deshalb bin ich letzte Woche in den Botanischen Garten im Tilden Park gefahren und habe nachgefragt, ob die jemanden brauchen. Direkter Kontakt war ein Tipp von Yvonne, und es hat funktioniert. Mails dagegen versumpfen manchmal in den Tiefen des Internets ... Diese Woche kann ich anfangen. Ich werde berichten!

Ansonsten will ich die verbleibende Zeit nutzen, um Schönes zu tun. Angeregt durch meinen eigenen Post, und die vielen Reaktionen darauf, habe ich jetzt wirklich beschlossen, Urlaub bis November zu machen. Natürlich im weitesten Sinne des Wortes: Das, was mir gut tut, mich inspiriert, wobei ich mich wohlfühle und was mich nicht negativ stresst (davon habe ich jetzt wirklich genug!). Also blogge ich, fotografiere, gehe zur Meditationsgruppe meiner Kirche, suche mir sinnvolle Wochenrhythmen und werde obendrein Gärtnerin (aber das bin ich eigentlich schon). Als Sahnehäubchen plane ich ein paar Ausflüge (soweit das uns mit einer Zweijährigen nicht in Schweißausbrüche geraten lässt). Nebenbei genieße ich das, was ich bisher am meisten an Kalifornien mag: das fantastische Essen, die kunstvollen Blumen und Pflanzen und die teilweise atemberaubend schöne Landschaft.

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