Samstag, 25. Januar 2014

Kurz vorm Abheben


Die letzten Monate waren eine Zitterpartie: Bekommen wir das Visum für die USA oder nicht? Eigentlich fehlte uns vor allem die Bestätigung der University of California in Berkeley. Dank des Government Shutdowns im letzten Herbst, weswegen alle öffentlichen Einrichtungen geschlossen wurden, hinkte die Uni-Bürokratie deutlich hinterher. Kurz vor Weihnachten, immerhin sechs Wochen vor unserer geplanten Reise, kam dann endlich das lang ersehnte Dokument: Mit falschem Datum. Also alles wieder auf Anfang. Das nächste Mal beeilten sich die zuständigen Mitarbeiter etwas mehr. Und zwischen den Jahren konnten wir das Visum dann beantragen.

Gemeinhin gelten die USA als Einwanderungsland. Unsere Erfahrung lehrte uns, dass das nicht an den einfachen Einwanderungsbestimmungen liegen kann. Die Schwierigkeiten bestanden nicht nur darin, das richtige Passbildformat einzureichen (digital UND in Papierform!) oder an den hohen Gebühren, die an verschiedene Stellen zu entrichten waren, sondern vor allem im so genannten Visa Interview. Termine werden grundsätzlich nur morgens um acht vergeben und natürlich nur in Berlin, Frankfurt am Main oder München.

Wir starteten also in einen erzwungenen Kurzurlaub nach Berlin (das war natürlich der nette Teil an der Geschichte). Allerdings war die Nacht kurz, da eine Zweijährige in einer fremden Wohnung, die zudem spürt, dass ihre Eltern aufgeregt sind, kaum schläft. Dann standen wir im Regen vor der Amerikanischen Botschaft und warteten. Die Terminvergabe war reine pro forma Sache, hier wartete eine ganze Traube von Menschen im Regen, die alle morgens um Acht bestellt worden waren. Als wir endlich in die Botschaft durften, wurden uns Werbefilme über die USA gezeigt, auf denen auch die Golden Gate Bridge zu sehen war. Wir fragten uns allerdings, wen diese Filme erreichen sollten, denn alle, die hier saßen, hatten ja bereits wie wir ein Visum beantragt! Aber zurück zum Thema: Nach stundenlanger Warterei wurden wir zwei (und wirklich nur zwei!) Minuten befragt: Herr Heße, Sie sind Wissenschaftler? Was forschen Sie?
Mein Mann versuchte so einfach wie möglich zu antworten: Im Bereich Grundwassersanierung, Umwelttechnik.
Der Beamte, der im früheren Beruf Entertainer gewesen sein muss und uns mit seiner lauten Stimme und seinen auffallenden Lachsalven schon während der Warterei unterhalten hatte, wusste, dass Wasser in Kalifornien ein Großes Ding war. Und auch, dass es dort keinen Winter gab – und schon gar keinen wie in Berlin!
Viel Spaß in Kalifonien! gab er unserer Familie mit auf den Weg.

Das war alles? Wir hatten es befürchtet, aber gleichzeitig waren wir unendlich erleichtert. Jetzt konnten wir endlich, endlich loslegen und Flüge buchen, eine Wohnung suchen und uns um die vielen kleinen Details kümmern – wir hatten jetzt noch dreieinhalb Wochen Zeit! Zum Glück waren wir so weitsichtig gewesen und hatten bereits Untermieter für unsere eigene Wohnung gefunden. Unheimlich viele Dinge waren zu beachten, die uns bereits seit mindestens zwei Monaten beschäftigten: Verträge sind zu kündigen (Achtung bei undurchsichtigen Handy- und Internetverträgen, die unendlich lange Laufzeiten festlegen!), Gepäckbestimmungen sind zu beachten, Koffer sind clever zu bestücken mit Gepäck, das man für die nächsten zehn Monate braucht und und und. Am Ende habe ich beschlossen, nie wieder auszuwandern, es sei denn, es ist für immer.

Fast unerschüttlerlich war mein Glaube daran, für uns ein passendes Heim zu finden. In Berkeleys Elternforum hatte ich schon die beste Wohngegend ausgemacht. Ich wusste, mein Gott versorgt uns! Bis ich irgendwann doch daran zweifelte. Am Anfang unserer Wohnungssuche hatten wir eine schicke Wohnung mit Kinderzimmer und zwei Fahrrädern inklusive Kinderanhänger gefunden – und das für schlappe 1800 Dollar! Leider konnten wir ja nicht zusagen, da wir nicht wussten, ob wir auch tatsächlich das Visum bekommen. Aber jetzt, wo wir endlich einen Vertrag unterschreiben wollten, war das Angebot mau und natürlich unendlich teuer.

Irgendwann antwortete ich gefühlt auf jede Anzeige, auch wenn sie nicht unseren Kriterien entsprach. Wir hatten schließlich kaum noch Zeit. Und nicht zu wissen, wo wir nach unserer langen Reise schlafen könnten, machte uns nicht gerade entspannt. Fast waren wir drauf und dran eine Wohnung in einer schlechten Gegend für viel Geld zu nehmen, nur um irgendetwas für den Anfang zu haben. Dann antwortete noch Kendra auf eine meiner Anfragen. Sie war das Geschenk des Himmels, auf das ich gewartet hatte – sogar besser als ich es mir ausmalen konnte und gerade noch rechtzeitig: Kendra ist Künstlerin und Mutter von zwei Töchtern (eine im Alter von Helene). Sie wollte uns unbedingt als Mieter, hat den Mietpreis gesenkt und ein Kinderzimmer eingerichtet. Ihre Familie wohnt im selben Haus und unsere Tochter wird das erste Mal im Leben mit Nachbarskindern spielen können. Aber der Freude nicht genug: Kendra kauft für uns ein und ihr Mann holt uns mit dem Auto vom Flughafen ab! Wir kennen diese Leute nicht, aber sie wollen, dass wir uns wohlfühlen, und können es voll und ganz nachempfinden, was das Reisen mit Kleinkindern mit sich bringt. Und deshalb helfen sie uns, wo sie nur können.

Drei Wochen vor unserer Abreise haben wir die Zusage für die teuerste Wohnung unseres Lebens (2000 Euro!) erhalten, aber sie hat so viele Pluspunkte, dass uns jetzt nichts mehr Erschüttern kann. Zum ersten Mal denke ich, dass das Leben in Kalifonien für mich ein Aufatmen bedeuten kann, ein Willkommen-Sein. Ich werde nicht nur viele Eindrücke sammeln, nicht nur mitreisende Wissenschaftler-Gattin sein, sondern vielleicht kann ich neue Freunde finden und etwas von mir weiterschenken. Ich bin bereit für den Abflug.

Foto: S. Häcker