Donnerstag, 27. Februar 2014

Amerikanische Kindheit


Mit Kindern ins Ausland zu reisen ist ein Wagnis. Das wird uns erst hier richtig bewusst. Vielleicht waren wir zu naiv oder zu optimistisch. Wir haben Helenes Bedürfnis nach Stabilität in diesem Punkt wohl unterschätzt. Langsam beschleicht mich nämlich das Gefühl, dass, hat sie sich endlich hier eingewöhnt, wir die Heimreise antreten und alles von vorne beginnt!

Helene als Schaffnerin auf ihrem Lieblingsspielplatz

Die erste Woche schien es ganz einfach. Nur der Jetlag sorgte für ein quengeliges Kind, aber ansonsten nahm unsere Tochter alles ganz leicht. Sie ist ja auch ein sehr offenes Kind. Aber dann begann sie von "ihrem Haus" zu erzählen, womit sie ihr Zuhause in Leipzig meint. Sie trennt säuberlich alles, was hierher gehört von dem, was wir mitgebracht haben. Das bezeichnet sie als "meins" und das darf niemand nehmen, vor allem nicht die Nachbarsmädchen. Das neue Haus ist dagegen "Astrids Haus", so heißt die jüngere Tochter unserer Vermieter. Alles, was hier ist, gehört also Astrid. Und selbstverständlich darf Helene damit spielen!

Gestern hat sie uns außerdem erklärt, dass sie in Astrids Haus nicht aufs Töpfchen gehen kann, sondern nur in ihrem eigenen Haus. Die Windelfreie Zeit rückt damit in weite Ferne. Alles, was wir zu Hause schon erreicht hatten, verweigert unser Kind hier. Neu ist auch, dass sie immer behauptet, sie wäre noch klein und könne all die Sachen nicht tun, um die wir sie bitten. (Selbstverständlich braucht sie auch ständig ihren heiß geliebten Schnuller.)


Wenn es ganz schlimm wird, sagt Helene: "Ich will mein Haus wieder haben!" Sie tut mir dann so leid. Ich sage ihr, dass ich auch manchmal Heimweh habe. Außerdem macht ihr die andere Sprache sehr zu schaffen, weil die Kinder sie nicht verstehen. Wichtige Wörter wie "Nein!" übergehen dann die Spielkameraden im Sandkasten. Oft schaut Helene die Erwachsenen mit großen fragenden Augen an, wenn die auf sie einreden. Sie versteht sie einfach nicht. Ihr eigenes erstes englisches Wort war "Bye, bye!" - "Tschüß!". Das sagt sie inzwischen sogar zu ihrem Papa, wenn der zur Arbeit aufbricht.

Auf den Straßen von Berkeley cruisen wir im sportlichen Kinderwagen herum.

Ich dachte, dass der Kindergarten die Lösung aller Probleme wäre, denn in Leipzig ist sie jeden Morgen quietschvergnügt zur Tagesmutter aufgebrochen. Gestern haben wir uns eine so genannte Pre-School angeschaut. Über die horrenden Kosten will ich mich nicht aufregen, denn Falks Stipendium kommt dafür auf. Gott sei Dank! Kinder sind wie alles andere in Amerika Privatsache, also müssen die Familien die Betreuung selbst bezahlen. Da kommen für einen Vollzeit-Platz locker 1.500 bis 2.000 Dollar im Monat zusammen. Mich erstaunt aber, dass das Angebot trotzdem nicht berauschend ist, und der freie Markt eben nicht regelt, dass es genug gute Betreuungseinrichtungen gibt. Es ist hier genauso schwer wie in Leipzig, einen Platz zu finden. Unsere gestrige Tour endete damit, dass Helene und ich beide froh waren, dass wir wieder gehen konnten! Es handelte sich bei dieser Vorschule um einen großen, eher schmuddeligen Kellerbau plus einem mit Kunstrasen ausgelegten Hof, auf dem Plasterutschen standen. Die Organisation schien sehr chaotisch und Helene fühlte sich sichtlich unwohl und sagte mir ständig, dass sie gehen will.

Heute habe ich dann mit Helene das gemacht, was amerikanische Mütter anscheinend machen, wenn sie keinen "Day-Care"-Platz bekommen: Ich habe ein eigenes Unterhaltungsprogramm für mein Kind aufgestellt. Hier gibt es etliche Einrichtungen, die den Eltern dabei helfen, und bei denen man überall gegen entsprechendes Endgeld Mitglied werden kann. (Man sieht aber vor allem auch sehr viele spanisch sprechende Nannys, die mit den ihnen anvertrauten Kindern so ein Programm absolvieren oder auf die Spielplätze gehen.)

Rieseninsekten in der Lawrance Hall of Science

Ich bin also mit Helene in die Lawrance Hall of Science der Universität Berkeley gegangen, denn immerhin ist sie ja Tochter eines Wissenschaftlers und wir bekamen deswegen auch 10 Dollar Rabatt auf unseren Familien-Jahres-Pass. (Ab jetzt schleifen wir jeden dorthin, der uns besucht!!!) Glücklicherweise liegt dieses Kinder-Museum der Wissenschaften bei uns quasi um die Ecke. Helene war begeistert! Sie hatte keinerlei-Angst vor den gigantischen Nachbauten von Käfern und Spinnen, lernte Zählen und matschte im Sand. Zum Lunch gab es Pommes und für die Mutti einen Cheese-Burger. Dabei genossen wir die beste Sicht auf die San Francisco Bay, die man sich vorstellen kann. Ich lernte auch etwas über die Erdbebengefahr hier, aber das habe ich schnell verdrängt, denn ich will lieber nicht darüber nachdenken, solange wir hier wohnen. (Ich glaube, das machen die hier alle so ...)

Berauschender Blick über die San Francisco Bay - zum Vergrößern  anlicken!

Helene macht außerdem etwas, was mir auch sehr amerikanisch vorkommt: Sie darf hier mehr Fernsehen als zu Hause. Naja, es sind DVDs vom Kleinen Maulwurf und der Biene Maja und ab und zu noch der Sandmann. Mickey Mouse und Co. hat sie noch nicht entdeckt. Aber bald wird sie auch das herausfinden.

Das beste ist aber die Stadtbibliothek in Berkeley: Die Kinderabteilungen der einzelnen Stadtteilbibliotheken sind großartig, und Helene und ich haben dort schon Stunden verbracht. Wir leihen uns viele Kinderbücher aus, durch die auch ich besser Englisch lerne. Denn Kinderbücher lesen ist in einer Fremdsprache eben einfacher als Prosa. Außerdem ist die Mitgliedschaft kostenlos, was fast schon sozialistisch anmutet in diesem Land! Morgen werde ich mit Helene das erste Mal Brownies backen - das Rezept haben wir uns aus einem Kinderkochbuch ausgesucht.

Zum Glück liebt Helene ihr neues Bett und ihr Elefant hilft ihr beim Einschlafen
Ich versuche also, unserer Tochter Amerika im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft zu machen und hoffe, dass sie so das Heimweh überwindet. Auch bleibe ich auf der Suche nach einer Tagesbetreuung für sie, weil wir wollen, dass sie irgendwann Englisch versteht und weil sie gern mit anderen Kindern zusammen ist. (Das Teilen kann sie so auch besser lernen.)

Sonntag, 23. Februar 2014

Berkeley Hills


Sich eine Stadt zu Fuß zu erschließen, ist der beste Weg, sie kennen zu lernen. Zwangsläufig machen wir das, denn wir haben kein Auto. In Amerika ein Un-Ding. Kendra sagt von sich, dass sie aus Protest zu Fuß geht! Hier oben, in Berkeley Hills, unserem Wohnviertel, gibt es nicht einmal Bürgersteige. Dafür einen Steigungsgrad, der es in sich hat! ("Hügel" ist für uns Flachländer eine völlige Untertreibung.) Falk hat sich schon ein Paar Schuhe kaputt gelaufen, da er jeden Tag in die Stadt hinunter läuft und abends wieder hoch. Für Fußgänger gibt es Abkürzungen in Treppenform. Den Kinderwagen schiebe ich die Serpentinen hinunter und muss dabei dauerbremsen, damit er mir nicht davonrollt. Hochzu nehme ich den Bus.

Am Bau dieser Garage lässt sich der Steigungsgrad des Berges gut erkennen.

Viele Häuser in Berkeley Hills sind nur über Treppen erreichbar,
aber dieser Zugang zur Straße ist doch einfach grandios!


Dieses Häuschen mit britischem Charme mag ich besonders gern.


Neben der Sonne lassen die Bungalow-Häuser in uns ein Feriengefühl aufkommen.
Tatsächlich dienten viele ursprünglich als Wochenendhäuser für San Franciscaner.


Dieses nennt Falk das Hobbit-Haus.
Und das ist ein kleines Hexenhaus wie aus einem russischen Märchen.

Noch immer staunen wir über die schönen Häuser in unserer Nachbarschaft. Sie sind alle sehr individuell. Die Einflüsse reichen von britisch über skandinavisch bis spanisch (auch österreichisch haben wir schon gesehen). Bis in die 1970er Jahre gab es in Kalifornien keinerlei Bauvorschriften, bestätigt uns Will, denn das hätte die Freiheit der Amerikaner eingeschränkt. Bis heute kann hier anscheinend jeder sein Haus so bauen, wie er es für schön befindet – und hier oben wohnen einige Menschen, die in diesem Punkt Geschmack beweisen. Es sieht jedenfalls anders aus, als wir uns das typische Amerika vorgestellt haben. Vielleicht ist das auch dem Umstand geschuldet, dass sich hier viele gebildete Menschen versammelt haben, unter ihnen eine Menge Professoren. Eine inspirierende Nachbarschaft! Zwei Häuser weiter wohnt beispielsweise Susanne. Sie ist um die 80, Biologin und Holocaust-Überlebende. Keine ungewöhnliche Biografie in dieser Gegend. Wir sind gespannt darauf, unsere Nachbarn noch näher kennen zu lernen! 










Neben den schönen Häuschen haben es mir auch die Gärten angetan, die wegen der hohen Grundstückspreise relativ klein sind. Dafür wachsen hier Blumen, die bei uns niemals im Freien überleben würden! Das milde Klima ist eben vorteilhaft. Nicht nur für die Pflanzen. Auch wir blühen auf. Und da es hier auch im Sommer nicht sehr heiß wird, wäre es eigentlich die Heimat unserer Wahl! Denn Falk mag es nicht so heiß, aber ich brauche Sonne … Naja, dieses Jahr ist es ja unsere Heimat, und wir werden es genießen!


Helene macht es mir nach, ihre Minnie-Mouse-Sonnenbrille ins Haar zu stecken.

Und sie liebt es, auf unserem großen Balkon auf und ab zu rennen.



Oder sie zeiht sich ihre Gummistiefel an und geht in den Hof.



Lenchen auf ihrem Lieblingsspielplatz im Zwergenauto.


Auch Helene hat schon ihren Lieblingsspielplatz in Berkeley Hills gefunden, den mit einer großen Holzeisenbahn zum Hineinklettern. (Womit endlich bewiesen wäre, dass sie wirklich von ihrem Opa Frieder Weinhold abstammt!) Daran, dass die Spielplätze für Zwei- bis Fünfjährige hier immer eingezäunt sind, muss ich mich erst gewöhnen. Dass der Spielplatz einen eigenen Parkplatz hat, damit man ihn bequem mit dem Auto erreichen kann, wundert mich dagegen fast nicht mehr. Wir laufen aber zu Fuß hin und protestieren so gemeinsam mit Kendra für mehr Fußwege und einen besseren Nahverkehr.

Von Berkeley Hills hat man natürlich eine fantastische Sicht auf die Bucht.
Und beim Sonnenuntergang fühlen wir uns wieder wie im Urlaub!

Freitag, 21. Februar 2014

Die Straßen von San Francisco


Unser erster Tag in San Francisco war ein ziemlicher Reinfall. Schon unser erstes Vorhaben ging schief. Wir wollten den selben Weg wählen, den bis in die 1930er Jahre fast alle Neuankömmlinge in die Goldgräberstadt nehmen mussten: den Seeweg. Erst 1937 wurde der Bau der Golden Gate Bridge beendet und verbindet seitdem die Stadt mit dem nördlichen Festland. 
Will und Kendra, unsere Vermieter, hatten uns die Fähre von der East Bay (der östlichen Bucht um San Francisco, wozu auch Berkeley zählt) empfohlen. Will fuhr uns drei mit dem Auto nach Oakland, unserer Nachbarstadt, wo die Schiffe regelmäßig ablegen. Außer an diesem Montag, wo wir erwartungsvoll am Hafen ankamen. Es war President's Day, der in den USA als Feiertag begangen wird. Anders als in Deutschland, wo an einem solchen Tag ein besonderer Besucheransturm zu erwarten gewesen wäre, hatten hier aber öffentliche Einrichtungen geschlossen – und deshalb auch die Fähre.

San Francisco von unserer Seite der Bay Area aus gesehen.

Wir nahmen dann eine Art S-Bahn, die BART-Train, die San Francisco mit der East Bay verbindet. Im Financial District, wo sich die Hochhäuser der Banken aneinanderreihen, kamen wir schließlich an. Wie durch eine künstliche Welt bewegten wir uns hier. Mir kam es vor als sei selbst die Luft auf der Straße durch eine Klimanlage gefiltert. Die Hochhäuser werfen so lange Schatten, dass man nur den sonnigen Himmel sieht, der aber nicht mit der Außentemperatur übereinstimmt.

Der Turm des Ferry Buildings mit dem Schriftzug der Stadt.

Zu Fuß gingen wir dann zum Ferry Building, dem Fährenhaus, eben jenem Gebäude, an dem vor uns so viele Hoffungsvolle in die Stadt strömten und an dem auch wir ursprünglich San Francisco betreten wollten. Heute ist das Ferry Building vor allem ein Tipp für Gourmet-Freunde. Denn neben dem Farmers Market, dem Markt der lokalen Bauern, der in jedem Ort der gesamten Bay Area ein Muss ist, sind hier viele Delikatess-Läden vereint. Wir fanden einen Bäcker, bei dem das „New York Roggen“-Brot gut schmeckte. Ich sage nicht: sehr gut, denn wir testen hier alle verheißungsvollen Bäcker. San Francisco ist angeblich für sein Sourdough Bread bekannt. Aber an das einfache, aber famose Sauerteigbrot von unserem Leipziger Bäcker reichte bis jetzt keines heran.

Die Oakland Bridge im Hintergrund leitet die Autos in zwei Stockwerken über die Bucht.

Dieses Vermissen von Wohlbekanntem nahm ausgerechnet an diesem Tag seine bisher schlimmste Form an: Irgendwann schoben wir genervt unsere quengelnde Zweijährige durch die Straßen von San Francisco. Missmutig suchten wir einen Weg nach North Beach, auf den Telegraph Hill, den es nicht gab, obwohl eine durchgehende Straße auf der Karte verzeichnet war. Ein kalter Wind ließ uns trotz wunderbarem Sonnenschein immer wieder frieren. Letztendlich schauten wir uns den berühmten Serpentinenabschnitt der Lombard Street gar nicht an, der unser eigentliches Ziel war, denn nach dem langen Umweg hatten wir einfach keine Lust mehr, noch weiter den Berg zu besteigen. Und schließlich überwältigte uns eine riesen Auswahl an italienischen Restaurants in Little Italy, so dass wir uns gar nicht mehr entscheiden konnten. Ich wollte einfach nur nach Hause, nach Deutschland, wo ich Speisekarten verstehe und weiß, wo man gut essen gehen kann, und nicht andauernd einfach alles neu für mich ist.

Straße in North Beach.

Heimweh ist ein schönes deutsches Wort. Und in San Francisco erlag ich dieser Wehmut. Außerdem sind Städtereisen gänzlich ungeeignet für Kleinkinder. Das nächste Mal werden wir ohne Kind wieder kommen und vielleicht im „Walzwerk“ essen gehen, denn es gibt in San Francisco ein Restaurant mit ostdeutscher Küche! Ich werde berichten...

Ein typisches Haus in San Francisco. Diese "Victorians"  stammen noch aus der Zeit vor
dem großen Erdbeben 1906, bei dem die Hälfte der viktorianischen Häuser zerstört wurden.

Zu Hause sahen wir erst einmal eine Folge von „Die Straßen von San Francisco“. Zumindest im Vorspann erkannten wir den Coit Tower auf dem Telegraph Hill wieder. Ansonsten ist San Francisco wohl nicht mehr mit dieser Polizeiserie aus den 1970ern vergleichbar. Aber da wir Europäer Amerika sowieso hauptsächlich aus Filmen kennen, können wir uns ja dieses Fleckchen Erde auch weiter so erschließen - und unsere Eindrücke ab und zu durch echte Erlebnisse erweitern. Mein erster Film, der in San Francisco spielt und den ich in den 1990ern gesehen habe, war übrigens „Mrs. Doubtfire“. Und ich muss sagen: Die Straßen und Häuser sehen hier wirklich so aus, wie im Film! Aber eben nicht nur.

Donnerstag, 13. Februar 2014

Welcome to California

Der erste warme Sonnentag. Helene und ich machen unsere erste kleine Wanderung durch den Tilden Regional Park. Wir gehen ein paar Meter in den Park hinein und fühlen uns wie in der Wildnis! Meine Tochter glaubt, sie sei ein Wurzelkind, und kriecht in einen hohlen Baumstumpf. ("Die Wurzelkinder" von Sibylle von Olfers haben es ihr angetan.)


Wir wandern weiter den Berg hoch und genießen eine fabelhafte Aussicht auf San Francisco, die Golden Gate Bridge von Nebelschwaden umhüllt. Hier oben auf dem Berg knallt die Sonne bei 21 Grad Celsius (ich bin immer noch am Umrechnen und lernen: 70 Grad Fahrenheit) auf unsere Köpfe, wir sind noch nicht auf Sommer eingestellt und haben einfach zu viele Sachen an!


Ich sauge diese kalifornischen Sonnenstrahlen auf, die letzten Wochen waren einfach zu grau für mich!!! Dazu der leicht exotische Frühlingsduft, herrlich! Helene rast auf dem Balkon hin und her und durch die Wohnung in den Hof und wieder zurück, auch sie blüht durch die Sonne geradezu auf. Die ersten zehn Tage in der neuen Umgebung sind an unserem Kind nicht spurlos vorbei gegangen. Sie erzählt immer wieder: "Das nicht mein Haus!" Und trennt sorgsam ihr eigenes, mitgebrachtes Spielzeug von dem, was hierher gehört. Sie erzählt von ihren Freundinnen bei der Tagesmutter in Leipzig und dass sie den Opa vermisst.

Ich selbst habe ja den ein oder anderen Anflug von Heimweh und denke: Wo bin ich eigentlich hier gelandet?! Wer hätte gedacht, dass der Service von Amazon in Deutschland besser ist als hier? Oder warum nur sind Lebensmittel so verdammt teuer, selbst Milch und Brot? Und warum kann man an einer Bushaltestelle keinen Fahrplan aufhängen (stattdessen muss man eine Service-Hotline anrufen, die einem die nächste Abfahrt durchsagt, und diese meist im Halbstundentakt...) Und schließlich: Mussten wir unbedingt ganz oben auf dem Berg wohnen? Wir sind doch das Bergsteigen null gewohnt und müssen wegen unserem Kleinkind auch noch einen erhöhten Schwierigkeitsgrad bewältigen! Aber heute habe ich auch zum ersten Mal einen Sonnenuntergang von hier oben bestaunt. Photoshop hätte es nicht besser hinbekommen. Es war einfach überwältigend schön!


Und dann fühle ich mich wie im Urlaub und mache Ausflugspläne fürs Wochenende (auch wenn neuer Regen angesagt ist - egal!). Der Jetlag ist zum Glück überwunden und es gibt einfach so viel zu entdecken! Welcome to California!






Sonntag, 9. Februar 2014

Living in America


Fünf Tage nach unserer Einreise, haben wir ein amerikanisches Konto eröffnet. Jetzt haben wir also eine Adresse in Kalifornien, jeder eine Kreditkarte und Falks Chef hat uns für nächste Woche zum Dinner eingeladen (verbunden mit einem konkreten Datum gilt eine Einladung auch als solche). Wir sind also in Amerika angekommen. Das ist für Menschen, die ein wenig Geld haben, nicht so schwer. Wenn man zudem einen so seriösen Arbeitgeber wie „Cal“ angeben kann, die University of California in Berkeley, wird man mit offenen Armen empfangen.

Was schwieriger ist, und was wir vielleicht unterschätzt haben, ist das mentale Ankommen hier. In Kombination mit dem Jetlag, wo der Körper versucht, neun Stunden Zeitunterschied mit der Inneren Uhr in Einklang zu bringen, ist das eine große Herausforderung – vor allem wenn man mit einem Kleinkind reist. Allein der Flug war eine Tortur, Falk und ich waren 24 Stunden am Stück wach, Helene hat in der selben Zeit nur gut zwei Stunden geschlafen. Im Flugzeug war sie viel zu aufgeregt und wir hatten keinen Platz zum Schlafen (Lufthansa können wir in dieser Hinsicht nicht empfehlen!). 

Helene ist echter Digital Native und hat im Flugzeug sofort den Touchscreen entdeckt.

Zum Glück war es Abend als wir gelandet sind und wir konnten erst einmal schlafen – soweit unser Körper mitgemacht hat. Komischerweise hat uns selbst unser Appetit verlassen, wir sind total durcheinander und nicht nur müde, sondern uns ist geradezu schwindelig. Die Zweijährige schien den Zeitunterschied erst besser zu bewältigen als wir Erwachsenen, aber dann ist sie irgendwann auf einem Nein-Trip hängen geblieben und seitdem extrem quenglig und anstrengend.

Unsere Wohnung ist aber zum Glück ein richtiges Zuhause und wir sind heilfroh, dass wir hier gestrandet sind. Wir wohnen in North Berkeley, auf dem Berg, mit Blick auf die Golden Gate Bridge (zumindest fast, man muss nur circa 100 Meter die Straße weiter gehen, um sie zu sehen) – eine eher teure und gute Wohngegend. Was ich besonders schön an unserem Zuhause finde, ist das ganze Grün drumherum – eine Mischung aus deutschem Mittelgebirge und Mittelmeervegetation. Es riecht nach Harz und wunderbaren Blüten, Magnolien- und Kirschbäume stehen in voller Pracht, Pinien- und Zitronenbäume zieren die Gärten und auch die ein oder andere Palme. Wenn wir nur zehn Minuten den Berg hochgehen, stehen wir in dem riesigen Tilden Regional Park, wo einige der berühmten Redwood Trees, Mammutbäume, wachsen.



Zu unserer Wohnung gehört auch ein Hof, der von der Küche aus einsehbar ist – perfekt für eine kleine Familie. Schaukeln und Grill sind schon bereit. Einziger Hinderungsgrund für ausgedehnte Aufenthalte im Freien ist momentan nur der Regen. Er hat angefangen kaum dass wir einen Tag hier waren – meine Theorie, dass ich die Regengöttin in Person bin, bewahrheitet sich einmal mehr. Ob Ibiza, Südfrankreich oder das sonnige Kalifornien: kaum reise ich ein, regnet es. Der ganze Januar war hier im Durchschnitt zu warm, es schien permanent die Sonne. Die letzten anderthalb Jahre hindurch herrschte hier die größte Dürre seit 150 Jahren – das haben die Hydrologieprofessoren, mit denen Falk arbeitet, bestätigt. Die für die Vegetation so wichtigen feuchten Wintermonate waren viel zu trocken. Aber zum Glück bin ich hergekommen (Ich sollte Geld vom Bundesstaat Kalifornien verlangen, dafür dass ich hier bin!). Jetzt regnet, nein, schüttet es seit fünf Tagen unaufhörlich, die Luftfeuchtigkeit beträgt gefühlt 150 Prozent. Lässt der Regen nach, kriecht der Nebel in alle Ritzen...


Dieser Blick von unserem Balkon wird uns wohl auch die nächsten Monate
begleiten - auch im Sommer kann es hier sehr neblig werden.

Wir sind also mehr oder weniger gezwungen uns im Haus aufzuhalten. (Auch weil wir kein Auto haben und eine Wanderung durch den sintflutartigen Regen nicht sinnvoll ist. Es gibt auch keine Bürgersteige und die Einkaufsmöglichkeiten liegen natürlich nicht um die Ecke – so wie es sich für Amerika gehört.) Unser Haus ist aber wirklich schnuckelig, gebaut in den 1940er Jahren, mit original erhaltener Küche und den wunderbaren intergrierten Schränken (in diesem Punkt sind uns die Amerikaner an Praktikabilität weit voraus). Unsere Vermieter haben die Wohnung im Vintage-Stil gehalten, was uns sehr gefällt.




















Und glücklicherweise haben unsere Vermieter auch zwei kleine Mädchen, das heißt sie sorgen dafür, dass wir als Familie hier gut zurechtkommen. Sie haben nicht nur ein Kinderbett gekauft und leihen uns Autositz und Sportwagen für Helenchen aus, sondern haben ihr ein richtiges Spielparadies eingerichtet. Das neue Spielzeug findet Helene natürlich ganz spannend, aber noch toller sind die anderen zwei Kinder. Sobald Helene die Mädchen unten hört, will sie zu ihnen. Uns trennt nur eine kleine Treppe von der anderen Wohnung im Haus. Was kann es schöneres für Kinder geben?!

Wir fühlen uns also sehr wohl hier und versuchen, die Schwierigkeiten mit dem Jetlag, den teuren Lebenshaltungskosten und allgemeinen Unsicherheiten mit der neuen Währung, neuen Maßeinheiten und einer anderen Temperaturenskala auszublenden. Was soll's? Wir leben in Amerika!


Die Golden Gate Bridge im Hintergrund liegt wie so oft im Nebel ...