Mittwoch, 4. Juni 2014

Die politische Entscheidung liegt beim Volke, oder doch nicht?

Die amerikanische und kalifornische Fahne wehen im Wind.

Gestern waren Wahlen in Kalifornien, also eigentlich Vorwahlen. Der amtierende Gouverneur Jerry Brown wurde in dieser "Primary election" mit 55 Prozent bestätigt. Die eigentliche Wahl findet aber erst am 4. November statt. Bei der gestrigen Vorwahl kam zum ersten mal das neue Wahlrecht zum Einsatz, das 2012 per Volksentscheid verabschiedet wurde. Deshalb standen gestern alle Kandidaten auf dem Wahlzettel, egal welcher Partei sie angehörten. Bisher wurden die Vorwahlen getrennt nach Partei abgehalten. Bei der eigentlichen Wahl im Herbst treten dann die zwei Bewerber mit den meisten Stimmen gegeneinander an. Herausforderer des Demokraten Brown ist dann der Republikaner Neel Kashkari, der gestern 19 Prozent der Stimmen erhielt.  Die gestrige Vorwahl betraf auch andere Ämter in der Bundes- und Lokalpolitik.

In Kalifornien geht es ja ganz viel um direkte Demokratie. Deshalb gibt es hier auch viele Volksentscheide. Von politischem Engagement oder gar Wahlwerbung habe ich allerdings vor der Vorwahl kaum etwas mitbekommen. Außer dass Amerikaner ihre politische Meinung gerne als Sticker auf die Stoßstange heften oder manchmal Fähnchen in den Vorgarten hängen, sind mir keine politischen Diskussionen angetragen worden. Das liegt aber vielleicht einerseits daran, dass ich von der amerikanischen Medienwelt noch etwas ausgeschlossen bin (mein Englisch reicht für lange Texte oder Kommentare noch nicht aus, ich beauftrage deshalb oft meinen Mann für Recherchen jeglicher Art, was er auch mit großem Interesse verfolgt), andererseits habe ich gelernt, dass man von Amerikanern erst in politische Diskussionen verwickelt wird, wenn man zum eingeschworenen Kreis der engsten Freunde gezählt wird (dieser Blog erklärt das einfach so gut).

Allerdings bin ich gestern dem politischen Aktionismus der Kalifornier gleich in zweifacher Form begegnet: Einerseits rannten mehrere Leute, mit denen ich mich getroffen habe, mit einem Sticker an der Brust herum, wo drauf stand, dass sie wählen waren, im Hintergrund war die amerikanische Flagge zu sehen. Mein schlechtes Gewissen sagte mir sofort, dass ich ausgeschlossen bin aus diesem exklusiven Kreis, denn ich kann als Ausländerin ja gar nicht wählen gehen. Meine gute deutsche politische Erziehung gebietet es mir aber. (Die Wahlbeteiligung lag mit 18,3 Prozent übrigens so niedrig wie noch nie vorher an diesem Dienstag. Warum eigentlich ein Dienstag? Da arbeiten doch alle!)

Und dann bin ich noch von zwei netten jungen Menschen auf der Strasse angesprochen worden, die mich für die "Human Rights Campaign" (HRC) begeistern wollten. Diese Organisation für Zivilrechte kämpft vor allem für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen, z.B. dafür dass sie wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht den Job verlieren können. Das ist nämlich in 29 US-Bundesstaaten noch so. In Kalifornien, oder gar Berkeley, wo manchmal selbst Toiletten als zugänglich für alle Geschlechter gleichermaßen ausgezeichnet werden, ist das undenkbar. Die netten jungen Leute waren übrigens von der HRC angestellt worden. Sie wollten mich also nicht nur wegen ihrer Überzeugung überzeugen, sondern weil sie für die Überzeugung Geld bekommen. Und sie wollten auch mein Geld haben, was mich als Deutsche sofort in panische Skepsis versetzte! Sie erklärten mir aber, dass das in Amerika so funktioniert: Dass nämlich die Lobbygruppe mit dem meisten Geld, am ehesten die Politiker bei ihrer Gesetzgebung überzeugen kann. Unterschriftenlisten dagegen fallen nicht ins Gewicht.

Ich fand das einfach nur unfassbar. Und so sehr ich gegen Ungleichheit bin, sträubte sich in mir noch viel mehr, wenn ich an diese Ungleichheit der politischen Entscheidungsfindung dachte. Das heißt doch im Klartext, dass die 400 reichsten Amerikaner, die gleich viel Geld haben wie die ärmere Hälfte aller amerikanischen Einwohner zusammen, auch deren Schicksal bestimmen können, wie mein recherchefreudiger Mann herausfand. Das sind 400 Stimmen gegen 157 Millionen! Kann man sich das vorstellen?!

Auf die gesetzgebende Politik werde ich wohl in Zukunft noch einmal genauer eingehen müssen, das wurmt mich. Mein Mann wird bis dahin noch genügend Recherchematerial zusammenstellen.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen