Sonntag, 8. Juni 2014

Der Ernst der Lage




Als ich am Abend nach San Francisco fahre und im unvermeidlichen Stau stehe, sehe ich diese Anzeige über der Autobahn: "Serious Drought. Help save water." (Ernste Dürre. Helft Wasser sparen!) Auch beim Picknick nach einem Gottesdienst im Tilden Park landet das Thema recht schnell bei der Dürre. Eine der schlimmstene Trockenperioden Kaliforniens eignet sich gut zum Smalltalk: Sie betrifft jeden und jeder hat etwas dazu zu sagen. Zum Beispiel erzählt eine Frau, dass ihr Wasser aus dem Wasserhahn seit sechs Wochen anders schmeckt als vorher. Sofort rief sie die Wasserversorgungswerke an und fragte nach, warum. Die Antwort: Weil inzwischen das Wasser aus den Stauseen nicht mehr ausreiche, die Küstenregionen Kaliforniens mit Trinkwasser zu versorgen. Man zapft also amerikanische Flüsse aus dem Landesinneren an und bereitet deren Wasser zum Trinken auf. Es habe einfach einen etwas anderen Geschmack. (Nachtrag, einen Tag später: Und seit heute schmeckt und riecht auch unser Wasser so extrem nach Chlor, dass ich befürchte, ab jetzt Kistenweise Trinkwasser im Laden kaufen zu müssen!) 

Thaddeus, der Bauer, von dem wir unsere Biokiste beziehen, schreibt in dieser Woche über die Dürre, die natürlich die Landwirtschaft am schwersten trifft. Wenn der Kanal geschlossen bleibt, der den Fluss im Capay Valley, 150 Kilometer nordöstlich von San Francisco, mit Wasser versorgt, dann wird es ernst. Bis zum 15. März 2014 reichte das Oberflächenwasser noch, danach trocknete der Kanal langsam aus. Das passierte zuletzt 1976. Thaddeus hat das Glück auf gutem Boden zu wohnen. In der Tiefe ist wertvolles Grundwasser, was nun die Farm versorgen muss. Der Aufwand ist nur erheblich höher: Mit Pumpen muss das Wasser an die Oberfläche gebracht und danach in Wasserleitungen auf den Feldern verteilt werden. Die bestehenden Brunnen auf dem Bauernhof reichen dafür nicht aus, wie der Biobauer errechnet hat, denn seine Farm braucht 2000 Kubikmeter Wasser in der Woche. Er muss also drei neue Brunnen bohren und hat glücklicherweise eine Firma gefunden, die das in dieser Woche tut. Gute Bohrunternehmen der Region sind bis Dezember ausgebucht. Thaddeus, der in zweiter Generation eine kalifornische Bio-Farm der ersten Stunde bewirtschaftet, führt in diesem Jahr penibel Buch über den Verbrauch des Wassers.

Das sonnige Kalifornien, dessen bevölkerungsreichste Regionen um San Francisco und Los Angeles viel zu dicht besiedelt sind, verfügt über das größte Wasserumverteilungssystem der Welt. Zur Erinnerung: San Francisco liegt ähnlich südlich wie Athen, L.A. bereits auf der Höhe von Nordafrika. Vor allem Los Angeles wächst unaufhörlich, ist aber von Wüste umgeben. In der San Francisco Bay Area regnet es üblicherweise in den Wintermonaten, aber vom Mai bis Oktober normalerweise nicht. Die üppige Vegetation vor unserer Haustür hält sich im Sommer nur durch den Nebel über Wasser - im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Wolken, die morgens und abends von Juni bis August vom Pazifik her über den Küstenstreifen rollen, kondensieren an den Blättern und versorgen die Pflanzen so mit Wasser. 

Kalifornien war vor einem Jahr mit 38 Millionen Einwohnern fast halb so dicht besiedelt wie Deutschland und ist damit der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA. Die Bevölkerung wächst (von 2000 bis 2010 um ganze zehn Prozent). Die meisten Menschen leben an der Küste, ungefähr die Hälfte aller Kalifornier sogar im Süden (Los Angeles und San Diego). Deshalb wird das Trinkwasser vom Norden und der Sierra Nevada, wo es viel regnet, aber kaum jemand wohnt, nach Süden gepumpt. Der California Aqueduct ist der größte Wasserleiter des Californian State Water Projects und versorgt 23 Millionen Menschen. 

Der größte Posten im Wasserverbrauch sind allerdings nicht die Menschen, die trinken, duschen und abwaschen müssen, sondern die Landwirtschaft! 75 Prozent des Wasserverbrauchs von Kalifornien geht allein für die Bewässerung der Felder drauf. Ist das Wasser aus den Flüssen und Stauseen aufgebraucht, wird Grundwasser gepumpt, nicht nur bei unserem kleinen Bio-Bauern. 

Nur: In den letzten drei Jahren hat es auch im Norden viel zu wenig geregnet. Die Winter waren sehr sonnig und trocken, die Regenperioden viel zu kurz. Die natürlichen und künstlichen Wasserspeicher konnten nicht genügend gefüllt werden. Allein in den letzten zwölf Monaten ist im Schnitt nur 50 Prozent des Regens gefallen, der sonst üblich ist. Wenn die Trockenheit anhält, wird es die schlimmste seit Aufzeichnungen der Wetterdaten. Und die Chancen dafür sind gegeben. Bereits im Mai war es in diesem Jahr ungewöhnlich heiß, der Sommer soll ebenfalls wärmer werden als sonst. Zwar prognostizieren Wissenschaftler, dass der El Nino für einen extrem feuchten Dezember sorgen soll. Das Wetterphänomen zeigt sich, wenn sich der Pazifik am Äquator stärker erwärmt hat als üblich. Dadurch verteilen sich die Luftströme anders und es trifft mehr feuchte Luft auf den gesamten amerikanischen Kontinent als sonst im Winter. Allerdings sagen sie auch, dass der Regen schwächer ausfallen könnte, als in anderen El-Nino-Jahren. Das heißt, die leeren Stauseen würden nicht gefüllt und im nächsten Jahr müsste noch mehr Grundwasser verbraucht werden, dessen Pegel auch nicht gestiegen ist.

Deshalb sollen wir Wasser sparen. Alle. Mir als Deutscher fällt das vielleicht leichter, denn ich bin wassersparend sozialisiert worden. Mein recherchefreudiger Mann rechnet mir vor: Deutschland hat die teuersten Wasserkosten aller Industrieländer, da deutsches Trinkwasser eine weitaus höhere Qualität aufweist als anderswo. Das Wasser auf ein so hohes Niveau hin zu reinigen, ist natürlich kostenintensiv. Dafür kann man das Wasser aus der Leitung aber auch überall trinken. Und besonders  die Abwasseraufbereitung ist daheim teuer, weil Deutsche inzwischen sehr viel Wert auf saubere Flüsse legen. Allerdings verbrauchen die Deutschen so wenig Wasser, dass sie pro Kopf trotzdem einen niedrigeren Wasserpreis zahlen als die meisten anderen Menschen in Industriestaaten. (Zum Vergleich: In Deutschland verbraucht jeder durchschnittlich 121 Liter Wasser am Tag, in den USA dagegen 260 Liter.) 

Als ich nachts aus San Francisco nach Berkeley zurückfahre, schüttel ich deswegen auch entgeistert den Kopf. Da wird doch tatsächlich in dieser in Amerika sehr umweltfreundlichen Stadt Wasser verschwendet: Nachts um zwölf gießt eine automatische Sprenkelanlage den schmalen Grünstreifen auf einer Straße. Das meiste Wasser fließt auf die Fahrbahn, und dabei handelt es sich bei der Bepflanzung nicht einmal um wertvolle Rosen, sondern um einfaches Gras! Vielleicht wird der Ernst der Lage erst erkannt, wenn die Wasserpreise dramatisch steigen? Konsequent wäre es. Die Wasserwerke haben es bereits angemahnt.

Ein Weg im Tilden-Park: Im März noch undurchdringlicher Schlamm,
jetzt reißt die obere Bodenschicht auf.

"Braun ist das neue Grün." Um Wasser zu sparen, wird der Park nicht bewässert.


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