Donnerstag, 29. Januar 2015

"My heart cried out for you, California"*

Heute hatte ich das erste Mal große Sehnsucht nach Kalifornien! Nach genau 60 Tagen deutscher Gräue, immerwährendem nasskalten Nieselregen, Sonnenuntergängen kurz nach dem Mittagessen, Öfen in unserem unsanierten Altbau anfeuern (inklusive sich gleichmäßig verteilendem Kohlen- und Aschestaub), unfreundlich dreinblickender Gesichter (denn wie kann man bei diesen Umständen auch noch freundlich gucken) sowie fünf Lagen Wollklamotten und trotzdem einer Erkältung nach der anderen. Zugegeben: Ich hatte am meisten Sehnsucht nach der kalifornischen Sonne! Nach diesem gleißenden Licht, das alles andere in den Schatten stellt. Nach den Magnolienbäumen, die im Februar bereits blühen (dann wieder im Mai und schließlich noch einmal im November!). Nach dem Eukalyptusduft in der Luft und den Kolibris, vor dem Küchenfenster. Und schließlich nach einem echten Coffee to go.


Einer der wenigen Lichtblicke im Leipziger Winter: Zwei Tage Schnee! Blick in unseren Hof.

Denn als wir heute aufwachten, war das Wasser abgestellt (ein Rohrbruch unter der Scharnhorststrasse). Die Bauarbeiter buddelten und wir konnten weder duschen noch Zähne putzen. Und, oh Schreck: Ich konnte natürlich ohne Wasser auch keinen Kaffee kochen!!! Die Sonne schenkte uns einen dieser seltenen Momente in diesem Winter, wo sie vom wolkenfreien Himmel schien. Ich packte also mein krankes Kind dick ein und marschierte zum Hotel Seeblick (wobei dieser Name irreführend ist, da es dort weder ein Meer gibt, noch einen Ausblick und es sich noch nicht einmal um ein Hotel handelt). Doch sobald wir uns auf die Straße begaben, schoben sich dicke, dunkle Wolken vor die Sonne, die wir so dringend nötig haben. Da scheint sie nun in Kalifornien zuviel und alle dort würden sich über einen ordentlichen nassen Winter freuen, und hier kommt sie viel zu selten hervorgekrochen!

Als ich aus dem Hotel, also dem Café, mit meinem koffeinhaltigen Lebensexelier in der Hand in den grauen Himmel starrte, packte mich das Fernweh wie noch nie seit unserer Rückkehr. Plötzlich erscheint das andere in einem schönen Licht, die negativen Seiten verblassen - natürlich auch so eine Phase des Rückkehr-Kulturschock. Ich musste wieder an eines der schönsten Lieder von Joni Mitchell denken, dieser Singer-Songwriter-Ikone, in dem sie über ihr Heimweh nach Kalifornien singt. Aus diesem Lied stammt auch die Zeile in der Überschrift. Nur hatte ich es vor zehn Monaten mit umgekehrtem Vorzeichen gehört und Rotz und Wasser geheult, weil ich mein Zuhause, also Leipzig, so sehr vermisste!


Gegen die Kälte helfen Wolle und Zwergenmützen!

Meine Dreijährige erlebt ebenso einen Kulturschock, nur ist nicht ganz so klar, ob man da noch von Rückkehr reden kann. Denn immerhin hat sie knapp ein Drittel ihres Lebens in Kalifornien verbracht und fast alles, an was sie sich noch erinnert, stammt aus dieser Zeit. So "besuchen" uns ihre Freunde aus Berkeley immer noch und sitzen in ihrer Phantasie mit bei uns am Esstisch. Den Höhepunkt bildete ein Alptraum vor zwei Wochen, an den sie sich bis heute erinnert: Im Traum stürzte unser Leipziger Haus ein (sieht ja auch nicht so schick und stabil aus wie unsere Nachbarhäuser). Sie wachte auf und weinte und sagte immer wieder, sie wolle nicht hier bleiben, sondern in ein anderes Land ziehen, sie wolle wieder zurück in unser Haus in Berkeley. Sie kann ja nicht wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Haus in der San Francisco Bay Area einstürzt, um ein Vielfaches höher liegt als bei einem mehrstöckigen, über hundert Jahre alten deutschen Gebäude. Auch wenn die Fassade schon etwas bröckelt.

Die Anhänglichkeit meiner Tochter ist nach unserer Rückkehr nach wie vor so hoch, dass es mich belastet. Sie will einfach kaum eine Minute allein in einem Raum sein. Seit ihr Papa für fast drei Monate aus ihrem Leben verschwunden ist, sie sich in ein neues Land, ein neues Zuhause und einen neuen (großen) Kindergarten eingewöhnen muss, hat sie existenzielle Ängste. Sie freut sich nie auf den Kindergarten und weint, wenn ich sie morgens dort verabschiede - so etwas sind wir von unserer Tochter gar nicht gewöhnt. Aber nachvollziehbar ist ihr Verhalten natürlich sehr. Auch, dass sie mich immer etwas unsicher fragt, ob wir das Spielzeug behalten können (denn sie musste ja ihre meisten Schätze in Kalifornien zurücklassen). Eine neue Bekannte, Amerikanerin, die jahrelang am englischen Kindergarten in Leipzig gearbeitet hat, sagte, dass sie oft beobachtet hat, wie Kinder, die hierher kamen, eine gewisse Habgier entwickelten. Helene schließt ihr Lieblingsspielzeug im Schlafzimmer ein, bevor wir Kinderbesuch bekommen. Während des Besuchs verschwinden dann auch noch Kinderstühle, Anziehsachen und weiß der Kuckuck was bei den Eltern. Begleitet wird das Ganze von Wutanfällen, falls das andere Kind doch etwas anfässt, was sie nicht hergeben will. Eine normale Reaktion also?! Ich finde es echt anstrengend!

Meine eigenen Unsicherheiten helfen da natürlich nicht weiter. Denn es war ja der Mann, der wegen dem Job ins Ausland gegangen ist, und ich nur die Begleitung. Meine sogenannte Karriere habe ich damit noch ein bisschen mehr auf die lange Bank geschoben, und die kommt nach der Rückkehr auch nicht freudig von selbst wieder zurück. Denn Babypause, Auslandaufenthalt und das ganze Pipapo lassen dann schon eine deutliche Lücke in meinem Lebenslauf klaffen.

Und noch etwas ist mir nach unserer Rückkehr aufgefallen: das Rauchen im öffentlichen Raum, sprich auf der Straße. Während die gesundheitsbewussten Kalifornier sich wenigstens schämen, wenn sie sich mal draußen mit der Zigarette zeigen, und zur Seite drehen, wenn ein Kind vorbeikommt, wird in Deutschland gequarzt, was das Zeug hält. Bei einer virtuellen Wohnungsbesichtigung in Berkeley wurden wir darauf hingewiesen, dass auf dem gesamten Grundstück Rauchverbot bestehe! Der weitläufige Campus der UC Berkeley ist sowieso komplett Qualm-frei. Auf den Straßen zogen eher Marihuana-Wolken an uns vorbei als die von Zigaretten. Ich bin diese Art von Luftverschmutzung also überhaupt nicht mehr gewöhnt und es fällt mir viel mehr auf als vorher, wie viele Leute eigentlich so rauchen! Und obwohl bereits vor sieben Jahren das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und Restaurants in Deutschland eingeführt wurde, fand ich in unserer Nachbarschaft trotzdem unten gezeigtes Schild. Das fand ich dann schon wieder lustig!


Offizielle Raucherlaubnis - eine deutsche Spezialität?


* Joni Mitchell singt in dem Lied "California" von ihrem Heimweh, das sie in Europa erfasste: 

"Oh it gets so lonely
When you're walking
And the streets are full of strangers
All the news of home you read
Just gives you the blues

(...) 

California I'm coming home"

Freitag, 23. Januar 2015

2015 beginnt mit einem Knall


Während meine Dreijährige und ich uns versuchen, wieder an den deutschen Alltag zu gewöhnen (frühes Aufstehen wenn's draußen noch dunkel ist, den ganzen Tag kein Sonnenschein, dementsprechend unmotivierte Gesichter, Kisten auspacken, Behördenkram erledigen unterbrochen von Krankheitsfällen weil es draußen einfach nur eklig ist, neue Freunde finden in einem neuen Kindergarten usw.) - gehen unheimliche Schlagzeilen um: die Deutschen sind mal wieder gegen etwas. Das fällt uns leicht. Ich bin auch gegen vieles und kann gut meckern - das habe ich selbst in Kalifornien nicht verlernt. Aber diesmal gehen die Gegen-Leute zu Tausenden auf die Straße. Sie haben Angst vor der Islamisierung des Abendlandes. "Peinlich", ist gar kein Ausdruck.

Zum Glück gibt es auch Gegner dieser Gegen-Leute, die auch auf die Straße gehen und das sind mehr. Sie wollen alle willkommen heißen in unserem Land. Das finde ich schön, denn ich selbst war ja gerade fremd und kenne daher das Gefühl ganz gut. Und da plagte mich nicht einmal Hungersnot oder Krieg in der Heimat, mich trieb auch nicht die Hoffnung an, meine Kinder sollten es mal besser haben als ich. Trotzdem fand ich es schön, dass mir alle positiv gesinnt waren in den USA (meine Herkunft machte es mir allerdings leicht in dieser Beziehung).

Die Gegen-Bewegung und ihre Gegner marschieren neuerdings auch in Leipzig herum. Letzte Woche waren es noch 4.000 zu 35.000, am Mittwoch dann circa 5.000 zu 20.000. In Leipzig ist was los! Und ich wäre gern dabei, um Position zu beziehen. Aber da der Wissenschaftler-Gatte in Norwegen arbeitet und unser Babysitter selber demonstriert, bleibe ich brav mit dem Kind zu Hause. Ich lese lediglich die lokale "Lügenpresse" (wie sie natürlich von den Gegen-Leuten genannt wird). Jedenfalls schaffen es die Marschierer die gesamte Stadt auf den Kopf zu stellen. Busse und Straßenbahnen fahren ab dem frühen Nachmittag nicht mehr und im Zentrum traut sich keiner, shoppen zu gehen. Die meisten Geschäfte haben sowieso zu. Und dann kommen auch noch die ganz brutalen Gegen-Gegner und legen Brände an den Bahngleisen, zünden Autos und Mülltonnen an - ob sich da Asylanten wirklich sicherer und noch willkommener fühlen?!

Meine deutschen Leser kennen diese Schlagzeilen und haben vielleicht ein ähnliches Problem vor der eigenen Haustür. Die internationalen Freunde meines Blogs haben aber möglicherweise noch nicht von diesen News gehört. Ich entschuldige mich schon einmal für diese Abfuhr, die Ausländern hier erteilt wird. Ich frage mich auch, was sich noch ändern muss, damit die Angsthasen keine Angst mehr vor dem Fremden haben müssen. Aufklärung, Gespräche, die anderen Menschen kennen lernen - solche Sachen eben. 

Wir selbst gehen neuerdings halbregelmäßig in die Englische (anglikanische) Kirche in Leipzig. Da wimmelt's nur so vor Leuten aus der Fremde. Und da werde auch ich wieder mit meiner Angst vor dem Anderen konfrontiert. Es gibt eben auch in dem bei uns eher beliebtem anglo-amerikanischen Kulturkreis Angewohnheiten, die uns fremder sind, als wir denken. Die sagen oft nur durch die Blume wogegen sie sind, nicht so platt wie wir. Mit der deutschen Art komme ich trotzdem besser klar, weil ich eben so aufgewachsen bin, ich bin daran gewöhnt. Bei Amis frage ich mich bis heute: Ist das jetzt wirklich so gemeint, oder sagen die das nur, um nett zu sein??? Aber vielleicht hilft mir die Gemeinschaft mit den Nicht-Deutschen diese Feinheiten besser zu verstehen. Ich hoffe es. Und ich hoffe auch, dass ich dort ganz praktisch Menschen in Deutschland willkommen heißen kann, für die alles überwältigend neu und anders ist und die mit dieser direkten deutschen Art vielleicht völlig überfordert sind. 

Ich bin jedenfalls dafür!