Freitag, 27. Februar 2015

Himmelsgespräche


Es sind nur noch Stunden bis der Mann und heiß vermisste Papa auf dem Flughafen Halle/Leipzig landet. Zurück von seinem Abenteuer Auslandsaufenthalt, das bei ihm drei Monate länger dauerte als bei mir und unserer Dreijährigen. Zurück aus dem dunklen Norwegen, gerade rechtzeitig zum Frühlingsanfang, der sich in Deutschland um ein paar Wochen geirrt hat. Zum Glück ist er etwas zu früh! Lange hätte es auch nicht mehr so weitergehen dürfen, so grau und einsam und kalt! Helene und ich verbringen die letzten Stunden zu zweit und bereiten Überraschungen für den Papa vor. (Aber nicht verraten!)

Das veranlasst mich, noch einmal auf den Zustand der letzten Monate zu blicken, in dem Wissen, es ist fast geschafft: Diese Art von Fernbeziehung war uns bisher erspart geblieben. Denn seit sich der Mann und ich verliebten, wohnten wir im selben Kiez, beinahe Tür an Tür. Daraus wurde sogar Wand an Wand, als ich in Falks WG einzog. Länger als eine Woche waren wir noch nie getrennt - und das nach inzwischen sieben Jahren Beziehung! Kaum vorstellbar. Da wurden wir also auf eine neue Bewährungsprobe gestellt. Und fast hätten wir dabei verloren, denn wir sind alle beide nicht fürs Alleinsein geschaffen. Wie wohl kaum einer.


Helene spielt mit einem ausrangierten DDR-Telefon.

Eine große Herausforderung war - wie in jeder Beziehungslage - die Kommunikation. Denn plötzlich stand da ein technisches Gerät zwischen uns: der Computer. Und auch, wenn man denkt, die heutige Technologie-Entwicklung versetzt uns in eine positivere Lage als frühere Generationen, mussten wir doch feststellen: Man redet aneinander vorbei. Lange habe ich einen Namen gesucht für dieses Telefonieren mit Bild, auch wenn tausende Kilometer zwischen den Gesprächspartnern liegen. Davon hatte mir übrigens mein Großvater bereits zu DDR-Zeiten vorgeschwärmt, dass das die Zukunft sein wird! Ein Anbieter, der früh den Markt besetzt hat, prägte den Namen, aus dem sich meine "Himmelsgespräche" ableiten. Wir nutzen übrigens inzwischen einen anderen Internet-Dienst. Aber die Ausgangslage ist immer ähnlich: Die Hälfte des Gesprächs sagt einer: "Hörst Du mich?" oder: "Das Bild hängt." oder: "Sag das noch mal, bei mir kam alles ganz abgehackt an." usw. Fast war es wie in der Eheberatung: "Fassen Sie in Ihren eigenen Worten noch einmal das Gesagte zusammen und beginnen mit: ’Habe ich Dich richtig verstanden, dass ...?'!" Um es kurz zu fassen: Es war frustrierend!

Schlimm war, wenn die Internetverbindung im entscheidenden Moment, wenn ich den Mann mal wirklich zum Zuhören brauchte, auch noch wegen Unwetter oder ähnlichen Katastrophen lahm lag. Ich kann zwar am Bildschirm verfolgen, wo das Flugzeug, in dem der Gatte gerade sitzt, so lang fliegt, aber näher gebracht hat uns das Internet nicht wirklich. (Natürlich hat das Weltweite Netz viele Vorteile, gerade wenn man einen Auslandsaufenthalt plant: Man kann von Deutschland aus eine Wohnung in Amerika suchen und mieten, nach einer Kinderbetreuung Ausschau halten, sich bei irgendwelchen Unikursen einschreiben oder die Straße schon einmal virtuell entlang schlendern, damit man dann am ersten Arbeitstag gleich den Weg findet. Sogar seine Einkäufe kann man vor der Abfahrt online bestellen, die dann vor der Tür stehen, nachdem das Flugzeug gelandet ist!)

Wartet jemand wie ich aber auf einen handgeschriebenen Brief, in den der Mann viel Liebe und seine Gedanken gesteckt hat, bekommt man immer nur E-Mails, die man nicht einmal anfassen kann. Pech gehabt, warum habe ich auch einen Nerd geheiratet?! Leider ersetzen E-Mails und selbst Himmelsgespräche eben doch nicht die Nähe, die zu einer Beziehung gehört. Noch ein paar Wochen und ich hätte mir einen Lover suchen müssen! Nun saß ich aber sowieso mit dem Kind die ganze Zeit brav zu Hause und konnte nach 18 Uhr leider niemanden mehr kennen lernen - also auch keine echte Option ... Aber nun ist es ja geschafft. Wahrscheinlich müssen wir sogar das Zusammen-Sein noch einmal neu üben.

Das Kind hat unser "Jetset-Leben" übrigens sofort kopiert. Sie schaut den Hörer ihres Spielzeugtelefons an und erzählt mir, wen aus ihrer kalifornischen Kindergruppe sie gerade sieht. Die fliegen auch immer mal zu uns und besuchen Helene, manche Freunde kommen täglich vorbei! Wenn ich dann die Wohnungstür nicht aufmachen will, kriechen sie sogar durch den Spalt unter unserer Tür! Personen-Beamen ist da gar nicht mehr weit entfernt. Wer weiß, vielleicht erzähle ich meinen Enkeln, dass das die Zukunft ist, und wenige Jahre später machen die es tatsächlich. Nur, ob sie sich dadurch auch wirklich näher kommen, bleibt die Frage!


Samstag, 21. Februar 2015

Gebt mir Grünkohl!

In dieser Woche hatte ich eine zweite Sehnsuchtsattacke, in der ich großes Fernweh nach Kalifornien verspürte: Mir wurde plötzlich schlagartig klar, dass die da drüben in manchen Punkten eben doch schneller sind als wir, und es mich größere Mühen kosten wird, das mir dort lieb Gewordene in Deutschland zu organisieren. Genau das ist das richtige Wort! Denn ich kann nicht einfach in den Laden gehen und es kaufen. 

Es geht um Grünkohl.

Was? Ist die völlig bescheuert?!, wird mancher Leser vielleicht denken. Erstens ist nichts deutscher als Grünkohl - allein schon dieser Name! Zweitens, wer isst das schon freiwillig? Da hat man entweder das Bild der Oma im Kopf (kombiniert mit fettigstem Fleisch), oder aber das von anstrengenden Öko-Idealisten (kombiniert mit trockener Getreidebeilage). So ging es mir jedenfalls.

Ich habe aber in Kalifornien ein neues Gemüse kennen gelernt, nämlich "kale". Das klingt gleich nicht mehr so abschreckend! "Kale" ist der Verkaufsschlager im gesundheitsbewussten Sonnen-Staat. Es gibt "kale-kiwi-smoothies", vegetarische "kale-tofu-wraps", salzige "kale-chips" und "kale-salad". Und vor allem: Es gibt eine große Auswahl verschiedener "kale"-Sorten in den Supermärkten. Der mit den rötlichen, eher glatten Blättern hat mir am besten geschmeckt, "russian kale". Aber hier suche ich vergebens nach einer anderen Sorte Grünkohl, als der krausen, grünen, denn es gibt nur diese eine. Wer es besser weiß, meldet sich bitte umgehend bei mir und nennt mir den Dealer!

Denn wie sehr ich "kale" und seine amerikanischen Zubereitungsvarianten vermissen würde, habe ich erst begriffen, als ich noch einmal auf Deutsch die tollen Eigenschaften des Grünkohls recherchierte: Der ist nämlich das beste, weil extrem nährstoffreiches, Gemüse, das man sich nur vorstellen kann! Grünkohl liefert nicht nur sehr viele Vitamine, Mineralstoffe wie Eisen und Proteine (auf deren Einnahme selbst amerikanische Kinderärzte gesteigerten Wert legen), sondern wirkt auch entzündungshemmend und antioxidativ. Und von allen diesen guten Eigenschaften hat diese Kohlsorte besonders viel. Etwas Grünkohl verspricht also eine große Wirkung! Genau das Richtige, um in einer auf maximale Leistung trainierten Gesellschaft gut anzukommen.

Grünkohl gilt unter Ernährungswissenschaftlern als die vorbeugende Maßnahme gegen Krebs (bei gleichzeitig weniger Fleischverzehr) und entzündungsbedingten Krankheiten wie rheumatischer Arthritis. Das besonders ballaststoffreiche Gemüse senkt obendrein den Cholesterin-Spiegel und stärkt das Herz-Kreislauf-System. Da dachten sich nicht nur die Amis: Einfach nur Wow! Ich auch. 

In Amerika habe ich ja einen unverkrampften Umgang mit Bio-Läden kennengelernt. Denn, um es mit den Worten meines Mannes zu sagen: "Auch die Bio-Anhänger denken in Amerika verkaufsorientiert. Da dürfen sie eben niemanden ausschließen." Deshalb setzen sie ihre Hemmschwelle extrem niedrig an. Das führt dazu, dass auch Bio-Supermäkte gute Gefühle wecken, optisch ansprechend sind und eine breite Palette an leckeren Snacks und vor Ort gekochten Speisen "to go" anbieten, wobei Grünkohl-Gerichte als Kassenschlager ganz oben stehen. Da macht "organic" sogar richtig Spaß und die Kunden zahlen auch gerne mehr Geld für die teureren Produkte! Im Leipziger Bio-Laden beschleicht mich dagegen immer noch das Gefühl, in die Räume einer eingeschworenen Gemeinde einzudringen, zu der ich nicht dazu gehöre. Die rote Variante des Grünkohls habe ich dort nicht gefunden.

Aber zum Glück habe ich eine Freundin, die in Kalifornien lebt, und quasi an der Quelle sitzt! Ich habe ein paar Samen bestellt, um die Grünkohl-Zucht auf meinem Balkon zu starten. Da wandert nun der "russian-kale" von Rußland nach Amerika und zurück nach Europa. Ich kann die Aussaat kaum erwarten! Und auch wenn dies hier niemals ein Mutti-Koch-Blog werden sollte, werde ich bei erfolgreicher Ernte auch Rezepte verraten. Dazu bin ich einfach zu begeistert! (Und da ich blöderweise das "kale"-Regal im Supermarkt nie fotografiert habe, kann ich die Bilder auch erst nach meinem Garten-Experiment nachreichen.)

Montag, 16. Februar 2015

Stimmungen in Norwegen


Wenn der Mann um die Welt reist, ganz dienstlich natürlich, dann reise ich eben hinterher. So kommt es, dass wir in der denkbar ungünstigsten Jahreszeit in Norwegens zweitgrößter Stadt, in Bergen, gelandet sind. Das Kontrastprogramm zu Kalifornien: nirgendwo in Europa regnet es mehr als hier. Die Luftfeuchtigkeit beträgt durchschnittlich 75 Prozent, das ganze Jahr über. Die Norweger sind ein ruhiges, in der Regel gut gekleidetes Volk, unter dem die Gleichstellung von Mann und Frau normal und die Einkommensunterschiede gering sind. Grummelig sind sie trotzdem, Begeisterungsstürme sind selten zu erwarten. Nur die Lebenshaltungskosten lassen sich mit denen in San Francisco messen. Ich dachte ja, teurer geht es nicht! Nur sind eben hier auch die Steuern extrem hoch und in Folge die öffentlichen Einrichtungen und sozialen Leistungen schick. Dabei leben die auch noch in einer Monarchie!

Die Jahrhunderte alten engen Gassen in Bergen mit den schmucken Holzhäusern haben es mir natürlich angetan, sogar bei Regen. Deutsche waren in Bergen bereits seit dem Mittelalter gegenwärtig, die Hanse prägte das Stadtbild. Überhaupt: diese Geschichte! Da fragt man sich, was die Menschen bewogen hat, sich schon vor 10.000 Jahren hier im Norden niederzulassen, wo aufgrund der Dunkelheit Winterdepressionen geradezu vorprogrammiert, das Wetter unbehaglich und die Landschaft karg sind. Wer geht schon freiwillig in diese nasse Kälte?!

Sie haben es sich aber ganz hübsch gemacht mit ihren bunten Häusern, diese Norweger. Anscheinend haben sie gelernt, sich mit den Elementen zu arrangieren. Die rauen Felsen sehen bei näherer Betrachtung sogar märchenhaft aus, so Moosbewachsen wie sie sind. Und Edvard Munch echt und in Farbe zu bestaunen, gibt auch etwas her. Da zeigt sich doch, dass auch den Norwegern tiefe Gefühle nicht fremd sind!

Leider währt mein Aufenthalt nicht lang genug, um noch mehr Klischees zu widerlegen. Nur eines noch: Große starke Männer (sprich: Wikinger) trinken Milch - und zwar fettlose! Als mein Gatte und ich ratlos vor dem Kühlregal im Supermarkt nach der Milchpackung mit natürlichem Fettgehalt suchen, fragen wir nach. Der Wikinger sucht. So etwas trinken in Norwegen nur Omas, erfahren wir. Aha! Deshalb stehen nur wenige Exemplare in der untersten Ecke versteckt. Der Wikinger erklärt weiter: "Hier, das ist die Milch, die ich immer kaufe: 0,1 Prozent Fett, fast wie Wasser, das ist die Beste!" Bei den lächerlich hohen Alkohol-Steuern haben sich die Nordmänner wohl ein neues Lieblingsgetränk suchen müssen!

An einem Wochende besteigen mein Mann und ich dann das Boot für einen Ausflug in den Sognefjord und geraten in den Schneesturm Ole. Uns wird mulmig im Magen, aber die Norweger bleiben cool. "Windstärke 7,9 - das ist offiziell noch nicht einmal Sturm!", erfahren wir von der Crew. Der Fjord ist so aufgewühlt wie auf keinem Bild in den Touristen-Prospekten. Das Hotelzimmer in Vik finden wir vor lauter Schneeverwehungen kaum. Außerhalb der Saison herrscht in dem Örtchen völlig tote Hose. Belohnt werden unsere Anstrengungen am nächsten Morgen als wir die Stabkirche Hopperstad aus dem Jahr 1130 schwarz und knorrig im weißen Schnee vorfinden.  

Norwegens raue Schönheit ist einzigartig.  Hier einige Beweise, die ich einfangen konnte:

Landeanflug: Insellandschaft vor der Westküste Norwegens.

Holz in hellen, bunten Farben - so lebt man froher im Winter.



In Alt-Bergen (Gamle Bergen) stehen die kleinen Häuser dicht gedrängt.


Mehrere große Brände - begünstigt durch die Holzbauweise vernichteten viele alte Straßen
- diese hier gibt es noch immer.



U-Boot der norwegischen Marine im alten Hafen. Das erste Mal, dass ich sowas sehe!

Kriegsschiff aus ferneren Zeiten.

Bryggen - das deutsche Hansequartier ist noch enger gebaut als der Rest.

In diesen Speichern lagerten schon im Mittelalter wertvolle Waren.

Eingang zu den "Tyske Bryggen" vom Hafen.


Die Gebäude sanken seit Jahrhunderten ab, deshalb ist diese Tür eben schräg.

Blick auf den Hafen Bergens vom Berg Fløyen.

Schneespaziergang in Vik, am Sognefjord.


 Panoramabild - zum Vergrößern anklicken. 

Hopperstad Stabkirche in Vik, 1130 erbaut.





Heidnische Symbole waren beim Bau geduldet.
So entstanden die berühmten Drachenköpfe an den Stabkirchen.

Türverzierung. Die Kirche ist außerhalb der Saison geschlossen - alles andere auch.


Die schwarze Farbe ist kein Ruß, sondern Teer, der das Holz schützen soll.

Diese Kirche ist nur 50 Jahre jünger als die Stabkirche und aus Stein.

Deshalb erinnerte sie eher an Mecklenburg, aber ist untypisch in Norwegen.



Der Sognefjord versteckt sich das ganze Wochenende im Nebel.






Das Schnellboot gehört zum öffentlichen Verkehrssystem und bringt uns zurück nach Bergen.