Mittwoch, 30. Juli 2014

Ich arbeite. Freiwillig. Umsonst.


Amerikaner lieben "volunteers" - ehrenamtliche Helfer. Deshalb gehört so ein Freiwilligenjob zwingend in den Lebenslauf, am besten mehrere. Man kann dabei aus seinem eigenen Fachgebiet wählen (vielleicht wartet im Unternehmen bald der nächste bezahlte Job auf einen) oder sich zum Zeitvertreib ganz ausgefallene Sachen suchen, etwas was man schon immer mal ausprobieren wollte. Ehrenamtliche auf sozialem Gebiet sind auch sehr zahlreich und dringend notwendig, bei der Obdachlosenspeisung, in Frauenhäusern oder Kliniken für Menschen ohne Krankenversicherung. 
Desweiteren engagieren sich Eltern an der Schule ihrer Kinder, darauf baut das Schulsystem geradezu auf. Auch die unzähligen Kirchen leben vom Engagement ihrer freiwilligen Helfer. Das Gemeindeleben ist demenstprechend viel bunter als in vielen Landeskirchen zu Hause: In unserer Episkopalkirche gibt es neben rein religiösen Veranstaltungen auch einen Bierbrauclub, eine Wandergruppe und Buchbesprechungen.

Und nebenbei zählen nicht nur Arbeit, sondern auch finanzielle Spenden, denn Amerikaner geben viel mehr Geld für wohltätige Zwecke aus als Deutsche. So können sie selbst entscheiden, was sie unterstützen und das Geld wird viel weniger aus Steuern durch den Staat verteilt. Spenden und kostenlose Mitarbeit sind also deshalb auch notwendig und ein Grundbaustein des gesellschaftlichen demokratischen Lebens in den USA.

Wie ich bereits berichtet habe, wollte ich selbst eine sinnvolle Beschäftigung finden, um meine Stunden ohne Kind (und ohne Arbeitserlaubnis) zu füllen. Ich habe mich im Gebiet "Was ich schon immer mal machen wollte" umgeschaut und bin im Botanischen Garten des Tilden Parks in Berkeley gelandet. Dort zupfe ich nun regelmäßig Unkraut. Nebenbei lerne ich Pflanzen der Region kennen, denn in diesem Botanischen Garten wird angebaut, was in Kalifornien so wächst. Das ist ziemlich viel, denn der Bundesstaat kann viele Klimazonen aufweisen, also alles von Wüste bis Riesenmammutwälder. Meine Arbeit ist sehr meditativ, da ich - angeleitet von einem Gärtner - stundenlang nicht gewollte Pflänzchen aus den Beeten entferne. Die Mammutbäume spenden Schatten, während an anderer Stelle die Sonne auf meinen Sonnenhut knallt. Dabei zwitschern die Vögel und die Sprenkleranlagen lullen mich mit ihrem Plätschern ein. Das Schönste ist: Ich bin von Pflanzen umgeben, die es in Good Old Germany nicht gibt. Am Ende werde ich alles Unkraut der nordkalifornischen Küste kennen, das ist nämlich mein Einsatzgebiet. Hier eine Fotoreihe über meinen Arbeitsort:




















Montag, 28. Juli 2014

Verborgene Schönheit


An dem Tag, an dem wir unser Auto kauften und somit endlich mobil waren, hatte ich große Pläne: Ich überredete meine Familie zu einer Ausfahrt zum Point Reyes National Seashore, einem Naturschutzgebiet, das nördlich von uns auf einer Halbinsel im Pazifik liegt. Die Fahrt dorthin entlang der Küste auf dem "Highway 1" dauerte zwar ewig, entschädigte uns dafür aber mit traumhaften Aussichten auf die Steilküste. Es war Mitte April, die Sonne brannte vom blauen kalifornischen Himmel und halb San Francisco schien auf dem Weg zum Strand zu sein. Da unsere Tochter ungewöhnlicherweise im Auto eingeschlafen war, fuhren wir ohne Stopps an den wunderschönen Aussichtspunkten durch bis zu unserem Ziel: dem Leuchtturm an der südlichen Spitze der Halbinsel. Hier kann man zwischen November und Mai sogar Wale sichten, wenn man Glück oder Geduld zum Warten hat!

Je näher wir aber unserem Ziel kamen, desto klarer wurde uns, dass wir keine klare Sicht hatten: Es zog Nebel auf, der sich langsam verdichtete. Als wir endlich auf dem völlig überfüllten Parkplatz des Leuchtturms ausstiegen, sahen wir nicht einmal 50 Meter weit! Die südliche Spitze des Point Reyes war vollkommen in eine große Wolke gehüllt. Wir sahen weder das Meer, geschweige denn Wale! Auch der Leuchtturm versteckte sich im Nebel. Außerdem war es kalt wie im Leipziger Winter, vom Pazifik her wehte eine frische Brise. Auf der Rückfahrt mussten wir feststellen, dass sich der Nebel inzwischen an der restlichen Küste breitgemacht hatte und es jetzt auch keinen Sinn mehr hatte, an den Aussichtspunkten zu halten. Wir hatten nämlich keine Aussicht mehr! Wir saßen also mehr als vier Stunden im Auto für einen halbstündigen Spaziergang durch kalten Nebel, der an steilen Felsen entlang waberte.

Der Leuchtturm am südlichen Ende der Treppe ist nicht zu sehen.

Aber irgendwie habe ich daran geglaubt, dass die verborgene Schönheit doch eine weitere Reise wert ist. Und gestern machten wir uns erneut auf den Weg an den Pazifik zum Point Reyes. Da es im Landesinneren um die 40 Grad Celsius heiß werden sollte und auch in Berkeley Temperaturen jenseits der 30 Grad angesagt waren, flohen wir in die Kühle der Pazifikküste. Wir hatten uns die Drakes-Bucht auf der Halbinsel ausgesucht, die einen richtig schönen langen Sandstrand aufweisen kann (kommt hier nicht so häufig vor!) und auch die Strecke (über den Francis Drake Boulevard), die wir diesmal ausgesucht hatten, sollte kürzer sein. Der englische Weltumsegler und Freibeuter Francis Drake hatte 1579 vor der Pazifikküste Halt gemacht. Die Bucht, versteckt und windgeschützt hinter dem Point Reyes gelegen, ist seine wahrscheinlichste Ankerstelle. Zudem erinnert die Steilküste hier sogar an Drakes Heimat England. Bevor Francis Drake in Richtung Südsee aufbrach, rief er bei seinem einzigen Halt in Nord-Amerika die englische Herrschaft von Königin Elisabeth I. aus. Allerdings ohne nachhaltige Wirkung, denn die Engländer machten davon später nie Gebrauch, die Westküste Amerikas ist ja nun auch etwas weit abgelegen ... 

White Cliffs von  Dover oder doch sie Steilküste in der Drakes Bay?

Unsere Fahrt zur Drakes-Bucht mit dem Auto ging leider wieder schleppend voran und der Nebel hing zuverlässig über der Südspitze der Halbinsel. Aber wenigstens lag die Bucht so vor dem Nebel geschützt, dass es perfekt für uns war: Nicht zu heiß, denn hin und wieder zog ein frischer Wind vorbei, dabei so warm, dass wir uns sonnen und picknicken konnten. Und schließlich stellten wir fest - das hatten wir gar nicht mehr für möglich gehalten - dass sich der Pazifik in der Bucht so aufgewärmt hatte, dass wir tatsächlich baden gehen konnten!  Die Temperatur fühlte sich zwar eher nach Ostsee an, dafür war das Wasser erfrischend, sehr salzig und irgendwie auch samtweich. Kurz: Es war herrlich! Auch unsere Tochter machte uns das Geschenk, dass sie die beste Laune des Jahres hatte und wunderbar zufrieden und glücklich sein konnte. Obendrein begegneten uns rund ein Dutzend Hirsche auf der Halbinsel, zwei davon (leider nur in der Ferne zu sehen) waren nordamerikanische Wapitis mit mächtigen Geweihen, die hier im Naturschutzgebiet leben.

Wir trafen auf viele Schwarzwedelhirsche. Dieser war besonders schön!

Mein Gatte überredete mich schließlich sogar, noch einmal zum Leuchtturm am Point Reyes zu fahren. Der Nebel hielt sich in Grenzen und wir konnten bestaunen, was wir das letzte Mal verpasst hatten (außer die Wale). Jacken mussten wir natürlich trotzdem tragen, denn die Temperaturen im Nebel sinken schnell mal um die fünf bis zehn Grad Celsius. Hier noch ein paar Bilder von der einst im Nebel verborgenen Schönheit (zum Vergrößern die Bilder anklicken!): 




Diesmal in voller Pracht zu erkennen: Der Leuchtturm auf Point Reyes.




Vom Wind gekrümmte Bäume, die sich ganz dem Felsen angepasst haben.

Der Point Reyes Strand ist so lang, dass der Nebel sein Ende verhüllt.

Auf der Innenseite der Halbinsel liegt die Drakes Bucht mit ihrer Steilküste.




Dienstag, 22. Juli 2014

Essen in Amerika #5: California Cuisine

Dass Kalifornien eine eigene Küche besitzt, liegt nahe: Schließlich ist der Bundesstaat der größte Lebensmittelexporteur des Landes und das Klima für den Anbau einer reichen Auswahl an Obst und Gemüse bestens geeignet. Nicht zuletzt startete an der Pazifikküste die Ökobewegung, die zahlreiche Biobauernhöfe hervorgebracht hat. 


Versteckt auf  Shattuck Avenue im Gourmet Ghetto steht das Chez Panisse.

Und wir befinden uns im - man kann schon sagen - historischen Zentrum der kalifornischen Kochgeschichte. Denn neben der Universität, ist das Restaurant "Chez Panisse" die wohl bekannteste Institution der Stadt Berkeley, darauf machte uns schon jede zweite Wohnungsanzeige aufmerksam, die wir in Vorbereitung auf unseren Aufenthalt hier lasen. Mit der Eröffnung des Gourmettempels begründeten Besitzerin Alice Waters und ihr Chefkoch Jeremiah Tower 
1971 den Trend der California Cuisine, der besagt, nur frischeste und selbstverständlich saisonale,  biologisch angebaute und aus der Region stammende Produkte zu verwenden. Im Restaurant wird deshalb pro Abend nur ein Menü angeboten. Im etwas preisgünstigeren Café, das 1980 das Angebot erweiterte, dürfen die Gäste à la carte wählen. Tische können jeweils nur vier Wochen im Voraus reserviert werden und sind rasend schnell ausgebucht. Ich konnte gerade noch einen Tisch für zwei  im Café an einem Montag Abend um sieben ergattern, denn wir hatten den Luxus eines abendlichen Babysitters!


Die Karte - nur für einen Abend und mit eigenem Design.

Wir haben also den Selbsttest gewagt, der uns umgerechnet gut 100 Euro gekostet hat: es war fabelhaft! Die Atmosphäre im Café war durch die japanisch inspirierte Einrichtung klar und trotzdem intim. Die Kellner waren diskret und gleichzeitig amerikanisch zuvorkommend höflich. Das gediegene Publikum schien ein Mix aus langjährigen Berkeleyer Stammgästen und Touristen aus aller Welt zu sein, uns eingeschlossen. Mein sparsamer Gatte überredete mich sogar, den Abend mit einem feierlichen Kir Royal zu starten, denn ein zweites Mal will er sich das Vergnügen nicht leisten. Erstaunlich für mich war vor allem, dass die Kleinigkeiten einen riesen Unterschied machten: Beispielsweise war das Salatdressing so unglaublich lecker (und dabei so einfach, da es nur aus Olivenöl und etwas Essig bestand), dass wir uns voller Genuss die Salatblätter auf der Zunge zergehen ließen. Das war für mich der Beweis, dass die genaue Auswahl der Zutat doch den entscheidenden Unterschied macht! 


Die California Cuisine bedient sich in einem sehr selbstbewussten Mix der französischen und italienischen Küche und noch einigen Einflüssen mehr. Darauf weist schon der Name "Chez Panisse" hin, der einem französischen Filmklassiker entnommen ist. Alice Waters ließ sich vor allem von französischen Landgaststätten inspirieren, die anbieten, was es gerade auf dem Markt frisch zu kaufen gibt. Unsere Hauptgerichte  spiegelten das ebenso wider: Mein Mann wählte Pasta mit Thunfisch und ich Lammfleisch mit Kartoffeln und Bohnen. Das Lamm war zart und wohlschmeckend. Das Fleisch und der Fisch stammen ebenso wie die anderen Zutaten aus einem kleinen Netzwerk von lokalen Zulieferern, das sich Waters im Laufe der Jahre aufgebaut hat. Eine Offenbarung waren aber nicht die Hauptgerichte, sondern die Nachspeise und die im Café selbst hergestellten Getränke: Ich probierte eine Limonade aus frischen Sommerfrüchten und aß dazu das sündigste Schokoladeneis mit Karamelsoße, das ich jemals gekostet habe! 



Kir Royal und Wasser - Gläser und Karaffen mit Chez Panisse-Logo.

Ihre Rezepte behält die Lebenmittelaktivistin Waters, die sich bereits als Studentin in Berkeley im Free Speech Movement engagierte, übrigens nicht für sich. Sie publiziert regelmäßig Kochbücher, auch für Kinder, setzt sich für eine bewusste Ernährungserziehung in der Schule ein und beeinflusste auch die First Lady bei der Zusammenstellung ihres Gartens im Weißen Haus. Das Restaurant wurde häufig ausgezeichnet, bekam bereits den Preis für das beste Restaurant Amerikas (2001) und gilt als eines der besten 50 weltweit. Der Dalai Lama und Bill Clinton waren bisher die berühmtesten Gäste hier. Zahlreiche Ex-Mitarbeiter spielen inzwischen eine bedeutende Rolle in der kalifornischen Restaurant-Landschaft. Doch gerade in der Anfangszeit machte das Team um Alice Waters Durststrecken durch, so stand die Finanzierung des Restaurants lange auf wackligen Füßen und der Crew sagte man ausschweifende Parties und Drogenkonsum nach. Bereits zwei Mal brannte es im Chez Panisse, erst 2013 musste der Betrieb für vier Monate eingestellt werden, damit die Vorderfront wieder hergerichtet werden konnte.


Zwei der Chez Panisse-Kochbücher.

Ob Waters nun tatsächlich die Kalifornische Küche gegründet hat, oder nur mehrere Köche zur gleichen Zeit einen ähnlichen Riecher hatten, sie sich aber am besten verkauft, bleibt dahingestellt. Im benachbarten Oakland speisten wir bereits im fast so bekannten und etwas preisgünstigerem Bay Wolf, das 1975 eröffnet wurde. Wer aber wie wir in Berkeley lebt, und sei es nur kurz, der ist geradezu verpflichtet, mindestens ein Mal in dieser Institution der California Cuisine vorbeizuschauen. Uns hat es dort gefallen, auch wenn es nicht unbedingt unsere Preisklasse ist.


Sonntag, 20. Juli 2014

San Francisco, I love you


Im Juli sind zwei Dinge typisch für SF: Nebel und Touristen (erkennbar am Stau).

Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Ich hatte hohe Erwartungen und die wurden während der ersten touristischen Ausflüge in die europäischste aller US-Städte natürlich nicht erfüllt. Außerdem bin ich halb gestorben, als ich auf den steilen Straßen verzweifelt einen Parkplatz gesucht habe. Und da ich jedes Mal zurück nach Berkeley fahren muss, bleibe ich nie lang genug, um die City, wie man hier sagt, richtig kennen zu lernen.

Aber in den letzten Wochen haben sich meine Ausflüge in die Stadt am Golden Gate gehäuft. Und je öfter ich dort bin, desto mehr verliebe ich mich in San Francisco! Schon wünschte ich, wir hätten uns dort eine Bleibe gesucht (was für uns nicht bezahlbar wäre!). So bleibt es bei unseren Ausflügen. Ich habe nur beschlossen, dass sich diese häufen müssen, solange wir die Möglichkeit haben!

Was meine Meinung geändert hat? Deutsche, die ich hier kennen gelernt habe! Zuerst war ich immer davon überzeugt, ich müsste Amerikaner kennen lernen, um mehr übers Land und vielleicht auch San Francisco zu erfahren. Das gestaltet sich aber als schwierig, wie bereits früher erwähnt, sicher auch deshalb, weil wir nur zehn Monate hier sind. Aber andere Deutsche, die hier schon länger leben, sind vielleicht gerade dankbar, ein paar Landsleute zu treffen (ich übrigens auch) und ihre gewonnenen Erkenntnisse weiter geben zu dürfen. Und wir können ganz ungeniert nach Dingen fragen, die wir nicht verstehen, und eine Antwort bekommen, die eine deutsche Perspektive berücksichtigt (z.B. haben wir viele Fragen zum amerikanischen Straßenverkehr und noch einige mehr...).


Baker Beach am Golden Gate, die Brücke von Nebelwolken umhüllt.

Aber zurück zum Thema: San Francisco hat extrem viele Sehenswürdigkeiten, obwohl es für eine Weltstadt relativ klein ist. Meine liebste ist und bleibt die Golden Gate Bridge. San Francisco liegt außerdem landschaftlich wunderschön, die Pazifikküste ist einfach unschlagbar! Dort finde ich auch das, was ich in Berkeley vermisse, das großstädtische Flair, Menschen mit unterschiedlichen Facetten (vom Schnösel über Hipster und Nerd bis hin zum Normalo), sehr gute kulturelle Angebote und mehrstöckige Häuser (ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Teil von Leipzig so vermissen könnte). Ach, und die Parks sind herrlich, so viel Natur hat selbst unsere Heimatstadt nicht zu bieten! Inzwischen kenne ich mich auch ein wenig aus, und der Verkehr macht mich nicht mehr völlig wahnsinnig. Aber unter der Woche nehme ich immer noch die Öffentlichen Verkehrsmittel (was allerdings auch hier ein Wagnis ist, aber mehr dazu ein anderes Mal).

Alles braucht seine Zeit, und das Ankommen in einer anderen Stadt, darüber hinaus in einem anderen Land, gehört definitiv zu den langsamen Dingen im Leben. Zwei bis drei Jahre brauche ich im Schnitt, bis ich mich in einer neuen Stadt zu Hause fühle. Das ist meine Erfahrung aus unzähligen Umzügen. Und tatsächlich wollen viele Deutsche unbedingt wieder nach Hause, wenn sie zwei Jahre und weniger in der San Francisco Bay Area leben. Wer länger bleibt, wird heimisch, so bestätigten unsere neuen Bekannten. Vielleicht will man nicht für immer bleiben, aber man fühlt sich wohl. 

Ich habe da mit zehn Monaten zwar die schlechteren Karten gezogen, aber sehe mich in Bezug auf San Francisco in einem Zwischenstadium zwischen begeistertem Touristen und jemandem, der die Stadt so gut kennen lernt, dass er Lieblingscafés und -Parks gefunden hat. Ein Lieblingsort ist definitiv Land's End, von dem ich bereits am Anfang unseres Aufenthalts begeistert berichtet habe. Mein Mann fand den Mission District toll, weil er hier endlich mal keine anderen Touristen, sondern echte San Franziskaner beobachten konnte. Und die Tochter will unbedingt wieder in den Zoo, auch wenn es dort keine Elefanten gibt. Der Golden Gate Park ist definitiv einen mehrfachen Besuch wert ... Ich bin beflügelt, noch mehr in dieser schönen Stadt zu entdecken.


Familienbild am Land's End. Foto: M. Weinhold.

Samstag, 12. Juli 2014

"Jesus ist ein Affe"




Da habe ich doch gerade geschrieben, dass unsere Zweijährige zur Zeit eine total entspannte Phase durchmacht und ein echter Wonneproppen ist, da belehrt sie mich noch am selben Tag eines Besseren. Nein, die "Terrible Two", die Trotzphase, oder positiver formuliert: das Selbstständigkeitsalter, ist in vollem Gange. Helene will alleine machen, schmeißt sich vor Wut auf den Fußboden, beißt mich (in aller Öffentlichkeit!), jault so lange bis ich entnervt aufgebe und bringt mich oft an den Rande eines Nervenzusammenbruchs. Ich denke jetzt schon: Wie wird das erst, wenn sie Teenager ist!


Hannah Helene, die Löwenbändigerin.

Unsere Tochter hat auch ein sehr gesundes Selbstbewusstsein, gepaart mit einem ausgeprägten Eigensinn. (Deshalb hat sie im Zoo alle Kinder mit "Nein!" angeschrien, die das selbe Löwen-Bild wie sie anschauen wollten. Und als das nichts half, ist sie handgreiflich geworden.) Mancher Leser wird vermuten, dass sie den Eigensinn von den Eltern geerbt hat, aber da bin ich anderer Meinung: Ich glaube, dass sie in Wirklichkeit ihre Inspiration von anderen Kindern abschaut, denen der Schalk genauso im Nacken sitzt wie ihr! Jedenfalls fallen mir mindestens drei ältere Freundinnen ein, die ähnliche Schoten abziehen. Wenn ich mir die Geschichten der Eltern so anhöre, wird mir Bange, was in nächster Zeit noch auf mich zukommt. Heute ist sie das erste Mal vor ihrem Papa weggelaufen, weil sie noch alleine spazieren gehen wollte - das nur dazu!


Madame Helene charmant mit ihrem Papa.

Ansonsten ist unsere gerade Zwei-und-dreiviertel-Jährige natürlich bezaubernd! Die Amis, die zwar nicht alle so kinderfreundlich sind, wie das Klischee besagt, fahren in der Regel sehr auf sie ab. Unser Familienfreund und Vermieter Will hat einmal passenderweise zu ihr gesagt: "Are you busy being cute?" (zu deutsch: "Bist du damit beschäftigt, süß zu sein?") Und natürlich weiß unser Töchterchen, dass sie süß ist und nutzt es schamlos aus. Helene ist aber auch ein richtiger Kasper und will andere, vor allem ihre Eltern, zum Lachen bringen. Deshalb tischt sie uns manchmal Geschichten auf, die haarsträubend erfunden sind. Nur damit wir sagen: Nein, das ist doch Quatsch!



Brezelkrümel im Elternbett - wie lustig!

Vor circa einem Monat hat Helene einen enormen Entwicklungssprung gemacht (wie schon öfter gepaart mit 40 Grad Fieber). Seitdem ist es besonders interessant für mich, zu beobachten, wie ihre Persönlichkeit, ihr Wille, die Eigenwahrnehmung ihrer Gefühle einmal mehr Gestalt annehmen. Sie redet inzwischen wie ein Wasserfall, sagt einige Wörter auf Englisch und versteht noch mehr, ist wissbegierig (Was ist das? ist die häufigste Frage, die sie zur Zeit stellt) und entwickelt eine eigene Meinung darüber, was sie schön findet und welches Essen ihr nicht schmeckt (vorher hat sie alles sehr gut gegessen!). Helene sortiert auch gerne Dinge nach bestimmten Gruppen und in langen Reihen (Tiere, Menschen, Pilze, Blätter usw.). Sie puzzelt wie eine Weltmeisterin (mit sehr viel Geduld) und spielt sehr lange und selbstständig, vor allem Kochen, mit der Puppenstube und ihrer Baby-Puppe. Geschlechter und das Kinderkriegen beschäftigen sie enorm. Gestern erklärte sie mir, dass sie schon einmal ein Baby in ihrem Bauch hatte (ihre Puppe) und dass sie demnächst ein Häschen zur Welt bringt.


Die Hängematte auf unserem Balkon lieben wir alle drei, Helene besonders!


Inzwischen kann unsere Tochter auch auf die Frage antworten: Wie heißt du? ("Hannah Lene.") Denn ungewöhnlicherweise hat sie mit 18 Monaten zwar bereits "ich" gesagt, aber ihren Namen bis jetzt total ignoriert (und auch nicht von sich in der dritten Person Singular gesprochen). Sie weiß, dass sie zwei Jahre alt ist. Und wenn man sie fragt, wo sie wohnt, antwortet sie: "In Leipzig!" Ihr Heimweh ist also noch nicht ganz überwunden. Aber sie kann die schönsten Küsse und Liebeserklärungen vergeben, die es nur gibt. Helene hat ein großes Herz, da passen viele Menschen hinein, die sie lieb hat. Beispielsweise ihr Freund Hillel aus Israel, den sie hier kennen gelernt hat, der inzwischen in seine Heimat zurückgekehrt ist, und an dessen Familie wir momentan besonders denken.


Helene  mit Marmelade-verschmiertem Gesicht nach dem Naschen.

Helene singt  zur Zeit auch besonders gerne. Neben "Happy Birthday to you" sind das Eigenkreationen oder deutsche Kinderlieder, die wir zusammen singen. Bewegungslieder wie "Wer ist der König des Dschungels?" sind bei Helene der Hit!  (Die Antwort in der zweiten Strophe lautet: Jesus ist der König des Dschungels.) Da man bei diesem Lied Affenlaute nachmacht, hat unsere Tochter das Lied kurzerhand umbenannt in "Jesus ist ein Affe." Solche Sätze sind doch einfach unschlagbar! Wenn sie dann mit mir verhandelt: "Mama, ich komme gleich, ich muss nur noch meine Puppe wickeln, okay?", dann kann ich nur antworten: "Okay."


Helene haut gerne ab und versteckt sich, vorzugsweise in Nischen.

Familienbild mit Quatschmachern - unmöglich!


Sonntag, 6. Juli 2014

Victorians in San Francisco


Giebel des Haas-Lilienthal-Hauses mit dem typischen Türmchen im Queen-Anne-Stil.

Eine meine ersten Assoziationen mit der Stadt San Francisco sind die Victorians - die historischen Holzhäuser im viktorianischen Stil. Dieses Bild der Stadt habe ich aus Filmen aufgeschnappt, und ich war sehr gespannt, diese Häuser echt und in Farbe zu sehen! Das Tolle ist: Sie sind noch schöner, als ich sie mir vorgestellt habe! Zwar wurde die Hälfte nach dem Erdbeben 1906 vom Feuer zerstört, aber vor allem im westlichen Teil San Franciscos sind viele Straßenzüge der schönen Häuser erhalten geblieben. Rund 15.000 gibt es noch. Meine Fotostrecke der Haight Street ist hier zu sehen und zeigt die Außenansicht einiger Victorians.

Die viktorianischen Häuser in San Francisco wurden zwischen 1850 und 1905 gebaut und lassen sich in vier größere Stile einteilen: Neogotisch, Italianate (nach italienischen Stil, wohl der populärste Typ), Stick-Stil und Queen Anne Stil. Bis auf den letzten Stil beziehen sich die Bauweisen auf andere architektonische Strömungen. Der Queen Anne Stil wurde dagegen vom englischen Architekten Richard Shaw geprägt und vereint einfach viele dekorative Elemente wie Türmchen, Fensterornamente oder geschwungene Glasscheiben. Zudem sind die Queen Anne-Häuser meist in sehr leuchtenden Farben gestrichen, manchmal dunkellila oder blau. Ich liebe diese besonders!

In der Üppigkeit der Ausstattung gibt es natürlich auch bei den Victorians verschiedene Varianten. Wir konnten uns eines von Innen anschauen, das einmal einer gehobenen Mittelklasse-Familie gehört hat, und dem entsprechend etwas protziger daherkam. Die Familie hat das Haus der Öffentlichkeit als Museum zugänglich gemacht und tatsächlich ist Innen noch alles sehr original erhalten geblieben, wie es damals eingerichtet worden ist - inklusive der Standuhr aus Bayern, die heute noch exakt geht! Der Familienvater William Haas kam selbst aus Bayern und stieg in San Francisco zu einem wohlhabenden Lebensmittelhändler auf. 1880 heiratete er die deutsche Jüdin Berta Greenebaum und bezog 1886 das im Queen Anne-Stil gebaute Haas-Lilienthal-Haus. 

William hatte sich sein neues Heim einiges kosten lassen und aus Europa viele Errungenschaften einführen lassen. So bestand der Bauherr auf das modernste Bad mit französischem Bidet. Teppiche und Kunst, zahlreiche Schmuckkamine (geheizt wurde bereits zentral und die Wärme mit Rohren in die Räume geleitet) und neueste Lampen, die sowohl mit Gas als auch bereits mit Elektrizität betrieben werden konnten, gehörten zur Ausstattung des Hauses. Elektrisches Licht wurde allerdings nur kurz während der Mahlzeiten genutzt, weil die Damen des Hauses befürchteten, davon Sommersprossen zu bekommen. Der Küchenherd war enorm groß und versorgte die zahlreichen Gäste, die in der sozial regen Familie ein und aus gingen (und er funktioniert noch heute). In den 1930ern wurde einer der ersten Kühlschränke angeschafft, damals waren diese noch recht klein, denn frische Lebensmittellieferungen erhielt man in San Francisco täglich. War die Familie nicht zu Hause, wurde die Eingangstür durch eine zweite ganz verschlossen, so dass für jedermann sichtbar war, dass keine Gäste empfangen werden. Natürlich hatte auch William Haas ein Wochenendhaus in Berkeley. Dort verbrachte die Familie die ersten Monate nach dem schweren Erdbeben 1906. Das Haas-Lilienthal-Haus hatte das Feuer überstanden, weil ein paar Straßen östlich eine Schneise gesprengt worden war, die die Feuerfront stoppen konnte.

Hier die  Bilder unserer Zeitreise: