Mittwoch, 28. Mai 2014

Was ich an diesem Land nicht verstehe

Nach knapp vier Monaten in den USA habe ich als Deutsche immer noch Anlaufschwierigkeiten, hier klar zu kommen. Es gibt einfach so viele feine Unterschiede, die ich meistens nicht nachvollziehen kann. Laut Kulturschocktheorie muss ich lernen, das Andere einfach hinzunehmen. Ich fühle mich nur leider immer noch zu fremd mit dem Meisten. Ich weiß zwar inzwischen, wie man richtig tankt, und habe den Traum einer Online-Überweisung aufgegeben (schreibe also inzwischen mit Widerwillen Checks), aber die meisten Unterschiede betreffen ja kulturelle Werte, die unter allem anderen liegen. Das sind Dinge, die jeder als Kind lernt, und die wahrscheinlich nicht einmal Amerikaner richtig erklären können.


Am Pazifik kann ich im Augenblick leben. Die Fragen verstummen.

Hier einige Punkte, die vielleicht den geneigten Leser meinen erstaunten Zustand nachvollziehen lassen:

Wenn ich Amerikaner beobachte, haben viele einen gelangweilten Gesichtsausdruck. Bis jemand sie anschaut, anspricht, den Raum betritt - dann wird gelächelt. Nur leider fühlt sich das nicht immer echt an, sondern wirkt oft wie eine aufgesetzte Maske - vor allem, weil es so plötzlich wechseln kann.

Smalltalk entsteht glücklicherweise unkompliziert und schnell. Das macht das Leben leichter. Und manche Menschen rücken auch mit (für meinen deutschen Geschmack) sehr intimen Informationen schnell heraus. Das finde ich an sich nicht schlecht, bloß verwirrt es mich, dass es dann trotzdem nicht tiefer geht. Als Deutsche wähne ich mich vielleicht in einer engeren Beziehung (oder Freundschaft) als es von der Gegenseite gemeint ist. Im Nachhinein bleibt eine Enttäuschung, weil sich der Andere anscheinend wieder zurückzieht. Es gibt hier viele herzliche Menschen, nur leider weiß ich noch nicht, wann ich mich auf sie verlassen kann und wann nicht. Wer die ungeschriebenen Regeln von Freundschaften unter Amis kennt, darf mich gerne einweihen!

Die tiefsten Beziehungen scheinen Amerikaner zu ihren Familien zu haben, zumindest wird extrem viel mit Eltern oder Geschwistern telefoniert (sofern sie weiter weg leben, was ja hier oft vorkommt). Freundschaften zu Gleichaltrigen haben anscheinend einen anderen Stellenwert als bei uns. Vielleicht weil jeder immer flexibel auf den Arbeitsmarkt reagieren muss, und man deshalb für die Karriere eben Freundschaften zurücklassen muss? Und da man sich hier anscheinend auch schneller scheiden lässt als in Deutschland, ist wohl die Herkunftsfamilie der stärkste Halt.

Es heißt, Amerika sei das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und die Nation der Freiheit. Meiner Beobachtung nach stimmt das nicht. Hier wird man zwar nicht so schräg angeschaut, wenn man etwas aus dem Rahmen fällt (schon die vielen Einwanderer sorgen für mehr Toleranz) und vielleicht ist man aufgeschlossener einer ungewöhnlichen Geschäftsidee gegenüber. Aber in Wirklichkeit regiert in den USA das Geld. Der Erfolgsdruck ist wesentlich höher als ich es aus Europa kenne. Wer nicht schon mit 20 hart an seiner Karriere bastelt, fliegt vielleicht schon bald aus dem System raus. Zum Studium müssen sich Amerikaner hoch verschulden. Wer seinen Berufsstart versaut, landet auf der Straße, weil die soziale Absicherung fehlt. Leider gilt das auch, wenn man krank wird und nicht mehr arbeiten kann, und sich zudem nicht versichert hat. Alternative Lebensmodelle sind - zumindest im teuren Kalifornien - schwer möglich. (Schon Marmelade selbst einzukochen ist wesentlich teurer als sie im Laden zu kaufen...)  Das heißt aber auch, dass hier dauernd gearbeitet wird, auch an Feiertagen. Amerikaner haben wesentlich weniger Urlaub als wir und können schon allein deshalb weniger von der Welt kennenlernen.

Und so definiert man sich hier im Allgemeinen auch über seinen Job. Es ist auf jeden Fall sehr auffallend, dass fast jedes Gespräch mit einer unbekannten Person sehr schnell bei der Frage landet, was man arbeitet. Amerikaner können sich nur besser verkaufen als ich, was mich zusätzlich nervt. Denn ich bin doch mehr als mein Job, den ich gerade nicht habe, weil ich eben hier lebe, aber keine Arbeitserlaubnis besitze.

In Kalifornien wird mir auch immer klarer, dass man hier für Geld alles haben kann. Es gibt superschicke Restaurants, gemütliche Kaffees, Wellness-Oasen und tolle Hotels, Läden mit schönem Klimbim und stilvolle Häuser und Wohnungseinrichtungen - für entsprechendes Kleingeld. Wer wenig hat, ist selbst Schuld, und muss sich halt mit weniger zufrieden geben. Die Schere geht eben viel weiter auseinander als in Deutschland. Auf der anderen Seite stehen die Obdachlosen auf der Straße, an denen manche Teenager mit verachtenden Gesichtern vorbeigehen.

Und warum kann man in Kalifornien ungeniert mit Jogginghosen und Morgenmantel-ähnlichen Umhängen rumlaufen, während fast jede Amerikanerin peinlich genau auf ihre Intimrasur Wert legt und auf ein perfektes Make-Up? Wie bereits früher erwähnt, gelte ich hier wahrscheinlich als Oberhippie, weil ich mich nicht jeden Tag schminke und meine Beine auch nicht immer glatt rasiert sind. (Viele Amerikanerinnen lassen sich in Waxing-Studios bearbeiten, was ich noch seltsamer finde, so öffentlich seinen Körper zu zeigen ...)

Apropos Körper: Der gilt hier mehr als das, was man darüber hängt (Kleidung) und wird deshalb auch hart gestählt. So Sport-fanatisch wie in Kalifornien ist man wohl sonst nirgends. Unmengen von Joggern und Radfahrern, die sich bei uns den Berg hochquälen, sowie unglaublich viele Fitness-Studios zeugen davon. Auf der anderen Seite wird fast jeder Meter mit dem Auto gefahren. (Übergewichtige Amerikaner sieht man hingegen in Berkeley nicht so oft.)

In Filmen allerdings wird peinlich genau darauf geachtet, nicht zu viel Haut zu zeigen. Kuss- oder Sexszenen werden wesentlich strenger zensiert als Gewalt. Was ist denn für unschuldige Kindergemüter gefährlicher: ein Kuss oder zuzusehen, wie jemand abgeknallt wird?!

Amerikaner zahlen nicht gerne Steuern. Die werden möglichst niedrig gehalten, was sich zum Beispiel negativ auf öffentliche Schulen auswirkt (ganz zu schweigen von Krippen und Kindergärten, die man privat zahlen muss) oder den öffentlichen Nahverkehr. Auf der anderen Seite engagieren sich Amerikaner in unzähligen Freiwilligendiensten, damit das öffentliche Leben funktionieren kann. (Eltern beteiligen sich an Schulprojekten, Ehefrauen helfen bei der Speisung von Obdachlosen etc.) Es wird hier auch wesentlich mehr privates Geld gespendet als in Deutschland, was auch notwendig ist. Aber anscheinend funktioniert das nach dem Prinzip: Tue Gutes und rede darüber! Nicht selten stehen Gedenktafeln für mildtätige Spender herum.

Ich habe glücklicherweise einen deutschen Blog gefunden (geschrieben von einem Amerikaner), der viele praktische Fragen erklärt, zum Beipsiel: Warum Einkaufen in den USA so nervig ist. Hier habe ich erleichtert schon einige Erklärungen für amerikanische Angewohnheiten gefunden, die für mich als Deutsche unnachvollziehbar sind. Allerdings sind noch nicht alle Fragen beantwortet.

Mein persönliches Fazit nach vier Monaten USA ist immer größer werdendes Heimweh. Die USA sind ein super Ferienziel. In Kalifornien scheint zu dieser Jahreszeit verlässlich die Sonne, die Landschaft ist oft atemberaubend schön. Man kommt schnell und einfach mit Menschen ins Gespräch. Deutsche fühlen sich schnell wohl und werden auch von den Amis ganz gerne gemocht. Die Auswahl an frischem Obst und Gemüse ist fantastisch, die an Imbissen und Restaurants jeder Art auch. Aber bisher reicht mir das nicht zum Bleiben. Vielleicht sollte ich aus meinem restlichen Aufenthalt einen Langzeit-Urlaub machen?!

1 Kommentar:

  1. Liebe Ruth,
    jetzt habe ich mich wieder durch viele Beiträge gelesen - so schön und vor allem interessant von eurem Leben in Amerika zu hören!! Und Helenchen ist so groß geworden... Ja, vielleicht solltest du das machen: Den Rest-Aufenthalt mehr als eine Art Urlaub sehen. Immerhin ist die Zeit ja begrenzt und (zumindest momentan?!) nicht auf Langzeit ausgelegt. Wir freuen uns jedenfalls schon wieder auf euch!
    Liebe Grüße aus L.E. (viel kleiner und unspektakulärer, dafür ganz schön deutsch;), Resi und der Rest

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