Sonntag, 6. April 2014

Odyssee (Unser Autokauf in den USA)



Wir haben von einem alten Cadillac geträumt, zumindest von einem 70er Jahre Chevrolet. Aber jetzt kaufen wir uns einen Möchtegern-SUV! Jene Geländelimosine mit dem englischen Namen Sport Utility Vehicle hat das Land längst überflutet. (Selbst in Deutschland tauchen sie immer häufiger auf. Und in einer flachen Stadt wie Leipzig bringen mich diese Autos echt auf die Palme!) Wir haben uns hier oben auf dem Berg in Berkeley für die etwas abgespeckte Variante von Volvo entschieden. Eine Internetkritik hat dieses Auto (wer es genau wissen möchte: V70 XC AWD) als ein Gefährt für den „Wannabe Marlboro Man“ bezeichnet. Nun, ich habe es ausgesucht!

Die letzten zwei Wochen waren sehr nervenaufreibend, aber auch lehrreich und ein einzigartiger Blick in die amerikanische (Männer-) Gesellschaft. Ich hatte einige zum Verkauf stehende Autos im Internet herausgesucht und an einem Sonntag machte sich Familie Heße auf den Weg:

Zuerst besuchten wir Carlos, einen mexikanischen Amerikaner, Mitte 20. Er war uns sehr sympathisch, hatte allerdings seinen Volvo-Kombi getunt, mit einem fetten Auspuff ausgestattet und tiefer gelegt. So war beispielsweise die fordere Stoßstange völlig hinüber. Allein die Kosten, das zu reparieren, überstiegen unsere Schmerzgrenze. Als wir damit Probe fuhren, wunderten wir uns, warum das Ding so laut röhrte ... Noch mehr wunderten wir uns darüber, welche Schnitten Carlos mit einem tiefer gelegten Familienauto beeindrucken wollte! Er musste damit wirklich ganz schön herumgepeest sein, zeigte uns aber stolz einige Bosch-Erstazteile, die er vor kurzem eingebaut hatte. Sein Erstwagen war ein roter 80er Jahre BMW Cabrio. Als er diesen einparken wollte, ist er einmal um den Block gefahren, anstatt nur zurück zu stoßen.

Den zweiten Anbieter bekamen wir nicht zu Gesicht. Er war am Telefon erschreckend unhöflich und führte uns auf eine Art Schnitzeljagd. Die Adresse, die er angegeben hatte, war unauffindbar. So landeten wir erst bei den Zeugen Jehovas und dann an einer Tankstelle, wo wir nach der Hausnummer fragten. Der Tankwart sagte: Das ist hier, und zeigte an die Wand. Es war die Tankstelle, aber das Auto (VW Passat) war nicht zu sehen. Dann entdeckten wir es gegenüber auf der anderen Straßenseite. Es stellte sich heraus, das es bereits abgemeldet und ein Unfallwagen war. Da Falk nicht noch mal mit dem Grobian telefonieren wollte, und uns das Auto natürlich nicht überzeugte, machten wir uns aus dem Staub.

Den dritten Verkäufer sahen wir auch nicht. Es handelte sich wieder um einen Volvo, diesmal die Stufenheck-Version, die in Amerika weitaus verbreiteter ist als in Deutschland. (Da wir selbst Volvo-Liebhaber sind, und Volvos in Berkeley ungewöhnlich beliebt sind, haben wir uns schließlich auf diese Marke beschränkt. Wir müssen es ja auch gut wieder verkaufen können, bevor wir das Land verlassen.) Dieser Volvo schnurrte für sein Alter wie ein Kätzchen und Falk war begeistert. Der Verkäufer hieß Iwan Diamond, IV. Ungelogen, das war sein Name! In Berkeley gibt es einen Service für private Autoverkäufer, wo sie ihren Wagen potentiellen Käufern zeigen können, ohne selbst anwesend sein zu müssen. Dort konnten wir Probe fahren und erhielten die Telefonnummer des Verkäufers. Iwan der Vierte war vermutlich ein älterer, sorgsamer Herr, am Telefon ausgesprochen nett und höflich. Er nannte uns den Namen seiner Werkstatt und dort ging Falk dann auch hin, um herauszubekommen, wie gut das Auto in den letzten Jahren gewartet worden war. Leider erfuhr er dort auch, dass die Kilometer-Anzeige (oder besser: Meilen-Anzeige) nicht stimmte und damit der Preis des Volvos ganz bestimmt viel zu hoch angesetzt worden war. Das erschien uns natürlich suspekt. Iwan Diamond entschuldigte sich am Telefon und sagte, es sei ein Versehen, dass das nicht in der Beschreibung erwähnt worden war. Da aber der Wiederverkaufswert des Autos durch die kaputte Anzeige sehr fraglich war, nahmen wir auch Abstand von diesem Angebot.

Zwei Vorgehensweisen helfen in den USA beim Autokauf und waren auch für uns ungemein hilfreich: Das eine ist eine Homepage, die den Wert von neuen oder gebrauchten Autos anzeigt, je nach Marke, Baujahr und gefahrenen Meilen. Die andere ist die hier übliche Fahrzeuginspektion vor dem Kauf durch einen Mechaniker. Das kostet zwar einiges (in Berkeley meist 120 Dollar), aber dafür weiß man dann ziemlich genau, was man von einem Gebrauchtwagen erwarten kann und welche Reparaturen anstehen. Auf der Suche nach Mechanikern, fanden wir heraus, dass es in Berkeley ungewöhnlich viele Volvo-Werkstätten gibt. (Wieder einmal der Beweis, dass das hier eine Öko-Spießer-Hochburg ist.) Bei nur 100.000 Einwohnern zählten wir mindestens fünf auf Volvo spezialisierte Reparaturdienste.

Den nächsten Volvo brachten wir zu einem Mechaniker zur Durchsicht. Der Wagen wurde im Internet als „Runs Great!“ beworben und sein Besitzter war ein netter Familienvater, der ihn extra zur Werkstatt brachte, obwohl er nicht einmal in der Nähe wohnte. Als ich das Auto sah, zog sich schon wieder mein Magen zusammen. Amerikaner sind gute Verkäufer, sie bewerben alles in den höchsten Tönen. Wie bei vielen anderen Volvos stand doch tatsächlich auch hier "gas saver" (Sprit sparend!) in der Anzeige. Doch dieses Auto war offensichtlich Schrott. Zum Glück bot uns der Mechaniker an, einen ersten Blick darauf zu werfen und uns dann anzurufen. Sollte sich herausstellen, dass zu viele Reparaturen anstehen, würde er es nicht weiter inspizieren. Das ersparte uns einen Haufen Geld, denn die ersten 15 Minuten waren kostenlos. Natürlich hätte sich der Kauf für uns nicht gelohnt. Der Familienvater versuchte nicht einmal, sein Fahrzeug zu verteidigen oder mit uns den Preis zu verhandeln (denn der Preis ist eigentlich fast immer etwas zu hoch angesetzt.)

Dann landeten wir bei Bruce Ackermann. Bruce hat uns beeindruckt. Er ist Volvo-Werkstatt-Besitzer und – wie vielleicht sein Nachname verrät – gründlich wie es das Klischee von Deutschen besagt. Er wirkte dementsprechend wie eine Mischung aus wortkargem Norddeutschen und höflichem Briten. Sein Pokerface sagte Nichts darüber aus, was er über uns dachte. Ackermann's hat in Berkeley einen guten Ruf als solide Werkstatt, wir hatten sie durch das Eltern Netzwerk gefunden, eine Plattform im Internet, die uns schon einige Male zuvor geholfen hatte. Wir befragten Bruce zu potentiellen Reparaturen, als er plötzlich mit einem eigenen Angebot herausrückte: Ein Volvo S70, der aussah wie neu, obwohl er 14 Jahre alt war. Außen schwarz und innen mit hellem Leder ausgekleidet. Jemand hatte das Auto sehr gut gepflegt und es war zu jeder Durchsicht pflichtbewusst bei Ackermann's Service gewesen. Dann ließ er uns Probe fahren. Das war ein geiler Schlitten! Wir fühlten uns plötzlich so, wie wir dachten, dass man sich in einem amerikanischen Auto fühlen muss. Wir liebäugelten sehr mit dieser Limosine, obwohl es ein Stufenheck-Volvo war. Es gab einen anderen Interessenten und wir sollten uns schnell entscheiden. Das war schwer. Der Preis war sehr hoch angesetzt. Das Auto war zwar ohne Frage top gewartet und wir konnten sofort damit losfahren. Aber eigentlich war es auch ein bisschen zu schön für uns! Nur ein Kratzer mit dem Kinderwagen, und wir hätten 500 Dollar Wert verloren. Nur ein paar schmutzige Kinderhände, und wir würden es nicht mehr so teuer weiterverkaufen können. Nur eine Beule, in den Kurven von Berkeley Hills eingefangen, und wir hätten mächtig drauf gelegt. (Ich habe noch nicht erwähnt, dass hier fast alle Autos Beulen haben, das ist für uns Deutsche irritierend.) Wir haben Bruce erst abgesagt. Dann kurz darauf noch einmal angerufen, weil wir dachten, es sei doch die beste Entscheidung, aber da war der amerikanischste aller Volvos bereits verkauft.

Ich konnte nicht mehr und Falk hatte schon so viel Arbeitszeit versäumt, dass wir keine Lust mehr hatten. Da flatterte noch ein Angebot von einer deutschen Familie in meine Mailbox. Ich habe gesagt, dass ich sofort Probe fahren will. Wie oft waren die angebotenen Volvos schon verkauft, kaum war die Anzeige geschaltet! Diesmal waren wir die ersten. Dieser halbe Geländewagen schaffte die 25-prozentige Steigung der Marin Avenue zu uns hoch auf den Berg ohne Probleme. Im Werkstatt-Test schnitt er nicht allzu schlecht ab, auch wenn einige Dinge zu reparieren sind. Der Kombi ist geräumig, hat sieben Sitze, zwei davon Reservesitze zum Ausklappen im Kofferraum, und auch schon ein paar Kratzer. Er ist absolut familientauglich. Wir können die deutsche Familie in Euro bezahlen und alle Absprachen in Deutsch treffen, das ist von Vorteil. Deshalb haben wir zugeschlagen. In zwei Wochen, wenn die Landsmänner Amerika verlassen, sind wir motorisiert.

Auch wenn wir Idealisten sind, und es anders geplant hatten. Jetzt machen wir es in Amerika doch wie die Amerikaner und erledigen unsere Wege mit dem Auto. Einkaufen und Helene zum Tagesvater bringen? Mit dem Bus eine Qual! Ausflüge am Wochenende? Ein riesen Aufwand und nur beschränkte Ausflugsziele. Und auch, wenn uns Kendra und Will so oft ihr Gefährt geliehen haben, war es trotzdem meistens frustrierend, hier oben festzusitzen. Wenn man nicht einmal einen Bäcker in laufbarer Nähe hat, wird der Alltag beschwerlich (ich habe es auch mit selbst Brotbacken versucht, aber das löst nicht das Problem). Der Bus fährt nur halbstündlich, am Wochenende nur einmal in der Stunde. Man darf nur einmal umsteigen und ist meist eine Stunde unterwegs auf Strecken für die man mit dem Auto eine viertel Stunde braucht. Auch wenn Helene das Busfahren liebt, jetzt machen wir eben mit, bei der Umweltverschmutzung. Nur leider nicht in einem alten Cadillac.

(Wer bis hierhin den Text gelesen hat, bekommt von mir ein Sternchen. Bei all der Aufregung, Telefoniererei, dem Pendeln zwischen Angeboten und Werkstätten, habe ich das Fotografieren vergessen. Es gibt also keine Fotos. Nur hier der Link zu Ackermann's Service. Komischerweise lacht Bruce auf diesen Fotos, das haben wir nie bei ihm gesehen, wahrscheinlich hat er einen trockenen Humor: http://www.ackermanservicingvolvo.com/)

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