Wir
haben von einem alten Cadillac geträumt, zumindest von einem 70er
Jahre Chevrolet. Aber jetzt kaufen wir uns einen Möchtegern-SUV!
Jene Geländelimosine mit dem englischen Namen Sport Utility Vehicle
hat das Land längst überflutet. (Selbst in Deutschland tauchen sie
immer häufiger auf. Und in einer flachen Stadt wie Leipzig bringen
mich diese Autos echt auf die Palme!) Wir haben uns hier oben auf dem
Berg in Berkeley für die etwas abgespeckte Variante von Volvo
entschieden. Eine Internetkritik hat dieses Auto (wer es genau wissen
möchte: V70 XC AWD) als ein Gefährt für den „Wannabe Marlboro
Man“ bezeichnet. Nun, ich habe es ausgesucht!
Die
letzten zwei Wochen waren sehr nervenaufreibend, aber auch lehrreich
und ein einzigartiger Blick in die amerikanische (Männer-)
Gesellschaft. Ich hatte einige zum Verkauf stehende Autos im Internet
herausgesucht und an einem Sonntag machte sich Familie Heße auf den
Weg:
Zuerst
besuchten wir Carlos, einen mexikanischen Amerikaner, Mitte 20. Er
war uns sehr sympathisch, hatte allerdings seinen Volvo-Kombi getunt,
mit einem fetten Auspuff ausgestattet und tiefer gelegt. So war
beispielsweise die fordere Stoßstange völlig hinüber. Allein die
Kosten, das zu reparieren, überstiegen unsere Schmerzgrenze. Als wir
damit Probe fuhren, wunderten wir uns, warum das Ding so laut röhrte
... Noch mehr wunderten wir uns darüber, welche Schnitten Carlos mit
einem tiefer gelegten Familienauto beeindrucken wollte! Er musste
damit wirklich ganz schön herumgepeest sein, zeigte uns aber stolz
einige Bosch-Erstazteile, die er vor kurzem eingebaut hatte. Sein
Erstwagen war ein roter 80er Jahre BMW Cabrio. Als er diesen einparken wollte, ist er einmal um den Block gefahren, anstatt nur zurück zu stoßen.
Den
zweiten Anbieter bekamen wir nicht zu Gesicht. Er war am Telefon
erschreckend unhöflich und führte uns auf eine Art Schnitzeljagd.
Die Adresse, die er angegeben hatte, war unauffindbar. So landeten
wir erst bei den Zeugen Jehovas und dann an einer Tankstelle, wo wir nach
der Hausnummer fragten. Der Tankwart sagte: Das ist hier, und zeigte
an die Wand. Es war die Tankstelle, aber das Auto (VW Passat) war
nicht zu sehen. Dann entdeckten wir es gegenüber auf der anderen
Straßenseite. Es stellte sich heraus, das es bereits abgemeldet und
ein Unfallwagen war. Da Falk nicht noch mal mit dem Grobian
telefonieren wollte, und uns das Auto natürlich nicht überzeugte,
machten wir uns aus dem Staub.
Den
dritten Verkäufer sahen wir auch nicht. Es handelte sich wieder um
einen Volvo, diesmal die Stufenheck-Version, die in Amerika weitaus
verbreiteter ist als in Deutschland. (Da wir selbst Volvo-Liebhaber
sind, und Volvos in Berkeley ungewöhnlich beliebt sind, haben wir
uns schließlich auf diese Marke beschränkt. Wir müssen es ja auch
gut wieder verkaufen können, bevor wir das Land verlassen.) Dieser
Volvo schnurrte für sein Alter wie ein Kätzchen und Falk war
begeistert. Der Verkäufer hieß Iwan Diamond, IV. Ungelogen, das war
sein Name! In Berkeley gibt es einen Service für private
Autoverkäufer, wo sie ihren Wagen potentiellen Käufern zeigen
können, ohne selbst anwesend sein zu müssen. Dort konnten wir Probe
fahren und erhielten die Telefonnummer des Verkäufers. Iwan der
Vierte war vermutlich ein älterer, sorgsamer Herr, am Telefon
ausgesprochen nett und höflich. Er nannte uns den Namen seiner
Werkstatt und dort ging Falk dann auch hin, um herauszubekommen, wie
gut das Auto in den letzten Jahren gewartet worden war. Leider erfuhr
er dort auch, dass die Kilometer-Anzeige (oder besser: Meilen-Anzeige)
nicht stimmte und damit der Preis des Volvos ganz bestimmt viel zu
hoch angesetzt worden war. Das erschien uns natürlich suspekt. Iwan
Diamond entschuldigte sich am Telefon und sagte, es sei ein Versehen,
dass das nicht in der Beschreibung erwähnt worden war. Da aber der
Wiederverkaufswert des Autos durch die kaputte Anzeige sehr fraglich
war, nahmen wir auch Abstand von diesem Angebot.
Zwei
Vorgehensweisen helfen in den USA beim Autokauf und waren auch für
uns ungemein hilfreich: Das eine ist eine Homepage, die den Wert von
neuen oder gebrauchten Autos anzeigt, je nach Marke, Baujahr und
gefahrenen Meilen. Die andere ist die hier übliche
Fahrzeuginspektion vor dem Kauf durch einen Mechaniker. Das kostet
zwar einiges (in Berkeley meist 120 Dollar), aber dafür weiß man
dann ziemlich genau, was man von einem Gebrauchtwagen erwarten kann
und welche Reparaturen anstehen. Auf der Suche nach Mechanikern,
fanden wir heraus, dass es in Berkeley ungewöhnlich viele
Volvo-Werkstätten gibt. (Wieder einmal der Beweis, dass das hier
eine Öko-Spießer-Hochburg ist.) Bei nur 100.000 Einwohnern zählten wir mindestens fünf auf Volvo spezialisierte Reparaturdienste.
Den
nächsten Volvo brachten wir zu einem Mechaniker zur Durchsicht. Der
Wagen wurde im Internet als „Runs Great!“ beworben und sein
Besitzter war ein netter Familienvater, der ihn extra zur
Werkstatt brachte, obwohl er nicht einmal in der Nähe wohnte. Als
ich das Auto sah, zog sich schon wieder mein Magen zusammen.
Amerikaner sind gute Verkäufer, sie bewerben alles in den höchsten
Tönen. Wie bei vielen anderen Volvos stand doch tatsächlich auch hier "gas saver" (Sprit sparend!) in der Anzeige. Doch dieses Auto war offensichtlich Schrott. Zum Glück bot
uns der Mechaniker an, einen ersten Blick darauf zu werfen und uns
dann anzurufen. Sollte sich herausstellen, dass zu viele Reparaturen
anstehen, würde er es nicht weiter inspizieren. Das ersparte uns
einen Haufen Geld, denn die ersten 15 Minuten waren kostenlos.
Natürlich hätte sich der Kauf für uns nicht gelohnt. Der
Familienvater versuchte nicht einmal, sein Fahrzeug zu verteidigen
oder mit uns den Preis zu verhandeln (denn der Preis ist eigentlich
fast immer etwas zu hoch angesetzt.)
Dann
landeten wir bei Bruce Ackermann. Bruce hat uns beeindruckt. Er ist
Volvo-Werkstatt-Besitzer und – wie vielleicht sein Nachname verrät
– gründlich wie es das Klischee von Deutschen besagt. Er wirkte
dementsprechend wie eine Mischung aus wortkargem Norddeutschen und
höflichem Briten. Sein Pokerface sagte Nichts darüber aus, was er
über uns dachte. Ackermann's hat in Berkeley einen guten Ruf als solide Werkstatt, wir
hatten sie durch das Eltern Netzwerk gefunden, eine
Plattform im Internet, die uns schon einige Male zuvor geholfen
hatte. Wir befragten Bruce zu potentiellen Reparaturen, als er
plötzlich mit einem eigenen Angebot herausrückte: Ein Volvo S70,
der aussah wie neu, obwohl er 14 Jahre alt war. Außen schwarz und
innen mit hellem Leder ausgekleidet. Jemand hatte das Auto sehr gut
gepflegt und es war zu jeder Durchsicht pflichtbewusst bei
Ackermann's Service gewesen. Dann ließ er uns Probe fahren. Das war
ein geiler Schlitten! Wir fühlten uns plötzlich so, wie wir
dachten, dass man sich in einem amerikanischen Auto fühlen muss. Wir
liebäugelten sehr mit dieser Limosine, obwohl es ein
Stufenheck-Volvo war. Es gab einen anderen Interessenten und wir
sollten uns schnell entscheiden. Das war schwer. Der Preis war sehr
hoch angesetzt. Das Auto war zwar ohne Frage top gewartet und wir
konnten sofort damit losfahren. Aber eigentlich war es auch ein
bisschen zu schön für uns! Nur ein Kratzer mit dem Kinderwagen, und
wir hätten 500 Dollar Wert verloren. Nur ein paar schmutzige
Kinderhände, und wir würden es nicht mehr so teuer weiterverkaufen
können. Nur eine Beule, in den Kurven von Berkeley Hills
eingefangen, und wir hätten mächtig drauf gelegt. (Ich habe noch
nicht erwähnt, dass hier fast alle Autos Beulen haben, das ist für
uns Deutsche irritierend.) Wir haben Bruce erst abgesagt. Dann kurz
darauf noch einmal angerufen, weil wir dachten, es sei doch die beste
Entscheidung, aber da war der amerikanischste aller Volvos bereits
verkauft.
Ich
konnte nicht mehr und Falk hatte schon so viel Arbeitszeit versäumt,
dass wir keine Lust mehr hatten. Da flatterte noch ein Angebot von
einer deutschen Familie in meine Mailbox. Ich habe gesagt, dass ich
sofort Probe fahren will. Wie oft waren die angebotenen Volvos schon
verkauft, kaum war die Anzeige geschaltet! Diesmal waren wir die
ersten. Dieser halbe Geländewagen schaffte die 25-prozentige
Steigung der Marin Avenue zu uns hoch auf den Berg ohne Probleme. Im
Werkstatt-Test schnitt er nicht allzu schlecht ab, auch wenn einige
Dinge zu reparieren sind. Der Kombi ist geräumig, hat sieben Sitze,
zwei davon Reservesitze zum Ausklappen im Kofferraum, und auch schon
ein paar Kratzer. Er ist absolut familientauglich. Wir können die
deutsche Familie in Euro bezahlen und alle Absprachen in Deutsch
treffen, das ist von Vorteil. Deshalb haben wir zugeschlagen. In zwei
Wochen, wenn die Landsmänner Amerika verlassen, sind wir
motorisiert.
Auch
wenn wir Idealisten sind, und es anders geplant hatten. Jetzt machen
wir es in Amerika doch wie die Amerikaner und erledigen unsere Wege
mit dem Auto. Einkaufen und Helene zum Tagesvater bringen? Mit dem
Bus eine Qual! Ausflüge am Wochenende? Ein riesen Aufwand und nur
beschränkte Ausflugsziele. Und auch, wenn uns Kendra und Will so oft
ihr Gefährt geliehen haben, war es trotzdem meistens frustrierend,
hier oben festzusitzen. Wenn man nicht einmal einen Bäcker in
laufbarer Nähe hat, wird der Alltag beschwerlich (ich habe es auch
mit selbst Brotbacken versucht, aber das löst nicht das Problem). Der Bus fährt nur halbstündlich, am Wochenende nur einmal in der Stunde. Man darf nur einmal umsteigen und ist meist eine Stunde unterwegs auf Strecken für die man mit dem Auto eine viertel Stunde braucht. Auch wenn Helene das Busfahren liebt, jetzt machen wir eben mit, bei der Umweltverschmutzung. Nur leider
nicht in einem alten Cadillac.
(Wer
bis hierhin den Text gelesen hat, bekommt von mir ein Sternchen. Bei
all der Aufregung, Telefoniererei, dem Pendeln zwischen Angeboten und
Werkstätten, habe ich das Fotografieren vergessen. Es gibt also
keine Fotos. Nur hier der Link zu Ackermann's Service. Komischerweise
lacht Bruce auf diesen Fotos, das haben wir nie bei ihm gesehen,
wahrscheinlich hat er einen trockenen Humor: http://www.ackermanservicingvolvo.com/)
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