Donnerstag, 20. März 2014

Kulturschock


Diesmal war ich theoretisch vorbereitet. Mein erster längerer Auslandsaufenthalt ist elf Jahre her und ich habe das alles schon einmal erlebt: In einer fremden Kultur ankommen. (Um so schwieriger, wenn die Kultur einem am Anfang sehr vertraut vorkommt …) Ich hatte mich also mental auf Schwierigkeiten eingestellt. Trotzdem hat mich der Kulturschock wieder voll erwischt.

Ich habe recherchiert: In der Regel tritt diese Enttäuschungsphase zwischen Woche fünf und zwölf nach Ankunft im fremden Land auf. (Wir sind jetzt gut sechs Wochen hier. Ich werde wohl noch eine Weile brauchen, um mich wieder zu akklimatisieren.) Vorher fühlt man sich ganz toll, wie im Urlaub eben, alles Neue ist spannend und aufregend (diese Phase war diesmal sehr kurz für mich). Dann aber muss man im Alltag zurechtkommen und oft funktioniert das nicht so einfach. Traurigkeit, Einsamkeit und Gereiztheit sind Begleiterscheinungen des Kulturschocks. Man fühlt sich übersehen oder unfair behandelt. Selbst körperliche Krankheiten und Schlafstörungen können auftreten! Es ist die Antwort auf die völlig neue Umgebung, in der alles anders funktioniert.

Meine Woche war voll von solchen Erlebnissen, in denen ich mir entweder denke: Sind die alle bekloppt hier? Warum muss man das so machen? In Deutschland ist das viel einfacher/logischer etc. Oder: Ich bin zu dumm oder zu anders, um hier jemals ins System zu passen. Ich verstehe diese Sprache einfach nicht usw. Solche Situationen sind meistens sehr kleine Begebenheiten, in denen etwas ein wenig anders funktioniert als zu Hause und an denen man wirklich verzweifeln kann. Wenn man dabei von einer Zweijährigen begleitet wird, die es schafft, in genau diesen Momenten am lautesten rumzunerven, weil sie merkt, dass Mama nervös ist, liegen die Nerven erst recht blank.

Tankstelle und Feuerwehr - alles ähnlich wie bei uns und doch anders.

Beispiel Tanken: Ich suche erst eine Weile und bin froh, dass ich überhaupt eine Tankstelle finde. Ich weiß: Hier bezahlt man am besten immer mit Karte. Ich zücke also meine Bankkarte und gebe meine Geheimnummer ein: Falsch. Ich probiere es noch mal: Wieder falsch. Mein Kind fängt an zu rufen: Mama! Mama! Ich gehe zum Häuschen, in dem eine Frau sitzt. Hier gibt es das zum Glück, eine echte Ansprechperson! Es ist eine Asiatin. Oder eine asiatische Amerikanierin. Ich frage, ob ich auch bar bezahlen kann. Sie beantwortet meine Frage nicht und sagt, ich müsse den ZIP-Code eingeben. Ich verstehe sie kaum, sie hat einen starken asiatischen Akzent. Ich frage sie, ob das der ZIP-Code ist, wo ich wohne. Sie antwortet, aber ich verstehe nicht, was sie meint. Sie redet von Billing Adress, ich weiß aber nicht, ob das nun die Postleitzahl meiner Bank oder meine eigene ist. Inzwischen schreit mein Kind im Auto herum. Ich habe Schweißausbrüche. Die Frau sagt noch, ich könne auch bar bezahlen, aber nur VOR dem Tanken.
Ein Mann, der in der Schlange hinter mir stand, geht mit mir zur Zapfsäule und zeigt mir, wie es geht. Ja, es ist die Postleitzahl meiner Wohnung hier! (Zum Glück habe ich meine amerikanische Karte genommen, was passiert erst mit meiner deutschen Kreditkarte und einer deutschen Postleitzahl?!) Als ich ca. 2 Gallonen getankt habe, (was auch immer das in Litern ist...), streikt die Zapfsäule. Ich kann nicht weitertanken. Ich gebe völlig entnervt auf und fahre nach Hause. (Ich will gar nicht ausrechnen, wieviele Miles per Gallon ich hier fahren kann – das Äquvalent zu verbrauchten Litern pro 100 km.) Für mich ist das gerade Schwerstarbeit, hier alles in Kürze neu zu lernen, wofür ich in Deutschland Jahre lang Zeit hatte.

Ich habe gelesen, das man in der Erholungsphase Verständnis für die anderen Herangehensweisen entwickelt und versucht sie zu verstehen. Das ist die Voraussetzung, sich in der neuen Kultur anzupassen und einzufügen. Verlässt man in der Kulturschock-Phase das Land, kann das zu Fremdenhass führen. Auch gibt es Studien, die belegen, dass diejenigen, die einen Kulturschock erleiden, später mehr Verständnis für die neue Kultur zeigen, als diejenigen, bei denen diese Tiefphase nicht so sehr ausgeprägt ist. Ich hoffe also, das es mir zum Guten nützt. Noch verkrieche ich mich und denke ein ums andere Mal, wieso tue ich mir das eigentlich an?


Falks Arbeitsplatz - von der kalifornischen Sonne sieht er hier nichts!

Meinem Mann ergeht es nicht so schlecht hier, aber sein Alltag hat sich auch nicht dramatisch vom deutschen geändert. Schon in Leipzig hat er auf der Arbeit Englisch gesprochen und zu Hause Deutsch. Die Ausstattung an der Uni in Berkeley war für ihn zwar enttäuschend im Vergleich zu seinem Arbeitgeber in Leipzig. Auch arbeitet er in dem Tageslichtlosen Teil des Gebäudes, der von den Studenten nur „Das Verließ“ genannt wird. Aber das scheint ihn nicht so sehr zu stören. Die alltäglichen „Kleinigkeiten“ erledige ich für die Familie.

Nun ist Falk auch noch für ein Bewerbungsgespräch für fünf Tage nach Deutschland geflogen. Ich muss also allein mit unserem Kind hier bleiben und Schritt für Schritt, den Alltag weiter organisieren. Die nächste Herausforderung wartet schon auf mich: Geld überweisen. Das machen die hier anscheinend nicht so oft. Wir haben endlich einen Tagesvater für Helene gefunden! Normalerweise bezahlen die Eltern den mit Schecks. Bei uns geht das nicht ... aber davon erzähle ich vielleicht ein anderes Mal mehr.

Heute ist Frühlingsanfang. Irgendjemand hat mich darauf hingewiesen, und es hat mich total überrascht. Das war noch so ein Moment des Kulturschocks: Hier ist doch immer Frühling! Wieso erwähnt das jemand so, als ob es ab jetzt aufwärts geht?! Ich hoffe wirklich sehr, dass diese Phase schnell vorbei ist … Denn eines will ich nicht: Ich will nicht nach Deutschland. Komischerweise vermisse ich Deutschland bis jetzt kaum (abgesehen von den Menschen), vielleicht weil mein Abenteuergeist noch nicht ganz vergraben ist, und ich noch viele Pläne für Unternehmungen hier habe!

Der immerwährende Frühling kann mich nicht immer trösten - aber meistens schon.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen