Donnerstag, 27. Februar 2014

Amerikanische Kindheit


Mit Kindern ins Ausland zu reisen ist ein Wagnis. Das wird uns erst hier richtig bewusst. Vielleicht waren wir zu naiv oder zu optimistisch. Wir haben Helenes Bedürfnis nach Stabilität in diesem Punkt wohl unterschätzt. Langsam beschleicht mich nämlich das Gefühl, dass, hat sie sich endlich hier eingewöhnt, wir die Heimreise antreten und alles von vorne beginnt!

Helene als Schaffnerin auf ihrem Lieblingsspielplatz

Die erste Woche schien es ganz einfach. Nur der Jetlag sorgte für ein quengeliges Kind, aber ansonsten nahm unsere Tochter alles ganz leicht. Sie ist ja auch ein sehr offenes Kind. Aber dann begann sie von "ihrem Haus" zu erzählen, womit sie ihr Zuhause in Leipzig meint. Sie trennt säuberlich alles, was hierher gehört von dem, was wir mitgebracht haben. Das bezeichnet sie als "meins" und das darf niemand nehmen, vor allem nicht die Nachbarsmädchen. Das neue Haus ist dagegen "Astrids Haus", so heißt die jüngere Tochter unserer Vermieter. Alles, was hier ist, gehört also Astrid. Und selbstverständlich darf Helene damit spielen!

Gestern hat sie uns außerdem erklärt, dass sie in Astrids Haus nicht aufs Töpfchen gehen kann, sondern nur in ihrem eigenen Haus. Die Windelfreie Zeit rückt damit in weite Ferne. Alles, was wir zu Hause schon erreicht hatten, verweigert unser Kind hier. Neu ist auch, dass sie immer behauptet, sie wäre noch klein und könne all die Sachen nicht tun, um die wir sie bitten. (Selbstverständlich braucht sie auch ständig ihren heiß geliebten Schnuller.)


Wenn es ganz schlimm wird, sagt Helene: "Ich will mein Haus wieder haben!" Sie tut mir dann so leid. Ich sage ihr, dass ich auch manchmal Heimweh habe. Außerdem macht ihr die andere Sprache sehr zu schaffen, weil die Kinder sie nicht verstehen. Wichtige Wörter wie "Nein!" übergehen dann die Spielkameraden im Sandkasten. Oft schaut Helene die Erwachsenen mit großen fragenden Augen an, wenn die auf sie einreden. Sie versteht sie einfach nicht. Ihr eigenes erstes englisches Wort war "Bye, bye!" - "Tschüß!". Das sagt sie inzwischen sogar zu ihrem Papa, wenn der zur Arbeit aufbricht.

Auf den Straßen von Berkeley cruisen wir im sportlichen Kinderwagen herum.

Ich dachte, dass der Kindergarten die Lösung aller Probleme wäre, denn in Leipzig ist sie jeden Morgen quietschvergnügt zur Tagesmutter aufgebrochen. Gestern haben wir uns eine so genannte Pre-School angeschaut. Über die horrenden Kosten will ich mich nicht aufregen, denn Falks Stipendium kommt dafür auf. Gott sei Dank! Kinder sind wie alles andere in Amerika Privatsache, also müssen die Familien die Betreuung selbst bezahlen. Da kommen für einen Vollzeit-Platz locker 1.500 bis 2.000 Dollar im Monat zusammen. Mich erstaunt aber, dass das Angebot trotzdem nicht berauschend ist, und der freie Markt eben nicht regelt, dass es genug gute Betreuungseinrichtungen gibt. Es ist hier genauso schwer wie in Leipzig, einen Platz zu finden. Unsere gestrige Tour endete damit, dass Helene und ich beide froh waren, dass wir wieder gehen konnten! Es handelte sich bei dieser Vorschule um einen großen, eher schmuddeligen Kellerbau plus einem mit Kunstrasen ausgelegten Hof, auf dem Plasterutschen standen. Die Organisation schien sehr chaotisch und Helene fühlte sich sichtlich unwohl und sagte mir ständig, dass sie gehen will.

Heute habe ich dann mit Helene das gemacht, was amerikanische Mütter anscheinend machen, wenn sie keinen "Day-Care"-Platz bekommen: Ich habe ein eigenes Unterhaltungsprogramm für mein Kind aufgestellt. Hier gibt es etliche Einrichtungen, die den Eltern dabei helfen, und bei denen man überall gegen entsprechendes Endgeld Mitglied werden kann. (Man sieht aber vor allem auch sehr viele spanisch sprechende Nannys, die mit den ihnen anvertrauten Kindern so ein Programm absolvieren oder auf die Spielplätze gehen.)

Rieseninsekten in der Lawrance Hall of Science

Ich bin also mit Helene in die Lawrance Hall of Science der Universität Berkeley gegangen, denn immerhin ist sie ja Tochter eines Wissenschaftlers und wir bekamen deswegen auch 10 Dollar Rabatt auf unseren Familien-Jahres-Pass. (Ab jetzt schleifen wir jeden dorthin, der uns besucht!!!) Glücklicherweise liegt dieses Kinder-Museum der Wissenschaften bei uns quasi um die Ecke. Helene war begeistert! Sie hatte keinerlei-Angst vor den gigantischen Nachbauten von Käfern und Spinnen, lernte Zählen und matschte im Sand. Zum Lunch gab es Pommes und für die Mutti einen Cheese-Burger. Dabei genossen wir die beste Sicht auf die San Francisco Bay, die man sich vorstellen kann. Ich lernte auch etwas über die Erdbebengefahr hier, aber das habe ich schnell verdrängt, denn ich will lieber nicht darüber nachdenken, solange wir hier wohnen. (Ich glaube, das machen die hier alle so ...)

Berauschender Blick über die San Francisco Bay - zum Vergrößern  anlicken!

Helene macht außerdem etwas, was mir auch sehr amerikanisch vorkommt: Sie darf hier mehr Fernsehen als zu Hause. Naja, es sind DVDs vom Kleinen Maulwurf und der Biene Maja und ab und zu noch der Sandmann. Mickey Mouse und Co. hat sie noch nicht entdeckt. Aber bald wird sie auch das herausfinden.

Das beste ist aber die Stadtbibliothek in Berkeley: Die Kinderabteilungen der einzelnen Stadtteilbibliotheken sind großartig, und Helene und ich haben dort schon Stunden verbracht. Wir leihen uns viele Kinderbücher aus, durch die auch ich besser Englisch lerne. Denn Kinderbücher lesen ist in einer Fremdsprache eben einfacher als Prosa. Außerdem ist die Mitgliedschaft kostenlos, was fast schon sozialistisch anmutet in diesem Land! Morgen werde ich mit Helene das erste Mal Brownies backen - das Rezept haben wir uns aus einem Kinderkochbuch ausgesucht.

Zum Glück liebt Helene ihr neues Bett und ihr Elefant hilft ihr beim Einschlafen
Ich versuche also, unserer Tochter Amerika im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft zu machen und hoffe, dass sie so das Heimweh überwindet. Auch bleibe ich auf der Suche nach einer Tagesbetreuung für sie, weil wir wollen, dass sie irgendwann Englisch versteht und weil sie gern mit anderen Kindern zusammen ist. (Das Teilen kann sie so auch besser lernen.)

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