Freitag, 23. Januar 2015

2015 beginnt mit einem Knall


Während meine Dreijährige und ich uns versuchen, wieder an den deutschen Alltag zu gewöhnen (frühes Aufstehen wenn's draußen noch dunkel ist, den ganzen Tag kein Sonnenschein, dementsprechend unmotivierte Gesichter, Kisten auspacken, Behördenkram erledigen unterbrochen von Krankheitsfällen weil es draußen einfach nur eklig ist, neue Freunde finden in einem neuen Kindergarten usw.) - gehen unheimliche Schlagzeilen um: die Deutschen sind mal wieder gegen etwas. Das fällt uns leicht. Ich bin auch gegen vieles und kann gut meckern - das habe ich selbst in Kalifornien nicht verlernt. Aber diesmal gehen die Gegen-Leute zu Tausenden auf die Straße. Sie haben Angst vor der Islamisierung des Abendlandes. "Peinlich", ist gar kein Ausdruck.

Zum Glück gibt es auch Gegner dieser Gegen-Leute, die auch auf die Straße gehen und das sind mehr. Sie wollen alle willkommen heißen in unserem Land. Das finde ich schön, denn ich selbst war ja gerade fremd und kenne daher das Gefühl ganz gut. Und da plagte mich nicht einmal Hungersnot oder Krieg in der Heimat, mich trieb auch nicht die Hoffnung an, meine Kinder sollten es mal besser haben als ich. Trotzdem fand ich es schön, dass mir alle positiv gesinnt waren in den USA (meine Herkunft machte es mir allerdings leicht in dieser Beziehung).

Die Gegen-Bewegung und ihre Gegner marschieren neuerdings auch in Leipzig herum. Letzte Woche waren es noch 4.000 zu 35.000, am Mittwoch dann circa 5.000 zu 20.000. In Leipzig ist was los! Und ich wäre gern dabei, um Position zu beziehen. Aber da der Wissenschaftler-Gatte in Norwegen arbeitet und unser Babysitter selber demonstriert, bleibe ich brav mit dem Kind zu Hause. Ich lese lediglich die lokale "Lügenpresse" (wie sie natürlich von den Gegen-Leuten genannt wird). Jedenfalls schaffen es die Marschierer die gesamte Stadt auf den Kopf zu stellen. Busse und Straßenbahnen fahren ab dem frühen Nachmittag nicht mehr und im Zentrum traut sich keiner, shoppen zu gehen. Die meisten Geschäfte haben sowieso zu. Und dann kommen auch noch die ganz brutalen Gegen-Gegner und legen Brände an den Bahngleisen, zünden Autos und Mülltonnen an - ob sich da Asylanten wirklich sicherer und noch willkommener fühlen?!

Meine deutschen Leser kennen diese Schlagzeilen und haben vielleicht ein ähnliches Problem vor der eigenen Haustür. Die internationalen Freunde meines Blogs haben aber möglicherweise noch nicht von diesen News gehört. Ich entschuldige mich schon einmal für diese Abfuhr, die Ausländern hier erteilt wird. Ich frage mich auch, was sich noch ändern muss, damit die Angsthasen keine Angst mehr vor dem Fremden haben müssen. Aufklärung, Gespräche, die anderen Menschen kennen lernen - solche Sachen eben. 

Wir selbst gehen neuerdings halbregelmäßig in die Englische (anglikanische) Kirche in Leipzig. Da wimmelt's nur so vor Leuten aus der Fremde. Und da werde auch ich wieder mit meiner Angst vor dem Anderen konfrontiert. Es gibt eben auch in dem bei uns eher beliebtem anglo-amerikanischen Kulturkreis Angewohnheiten, die uns fremder sind, als wir denken. Die sagen oft nur durch die Blume wogegen sie sind, nicht so platt wie wir. Mit der deutschen Art komme ich trotzdem besser klar, weil ich eben so aufgewachsen bin, ich bin daran gewöhnt. Bei Amis frage ich mich bis heute: Ist das jetzt wirklich so gemeint, oder sagen die das nur, um nett zu sein??? Aber vielleicht hilft mir die Gemeinschaft mit den Nicht-Deutschen diese Feinheiten besser zu verstehen. Ich hoffe es. Und ich hoffe auch, dass ich dort ganz praktisch Menschen in Deutschland willkommen heißen kann, für die alles überwältigend neu und anders ist und die mit dieser direkten deutschen Art vielleicht völlig überfordert sind. 

Ich bin jedenfalls dafür!

2 Kommentare:

  1. Hej Ruth,
    richtigerweise haben Uni-Leute der Soziologie die Legida-Wesen mittels 3 Methoden selber nachgezählt und kamen auf 4000-6000 Leute. Immer noch viel zu viele, aber eben realistisch.
    LG, dagewesener Hendrik

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    1. Danke. Die korrigierte Zahl habe ich auch gelesen und im Text korrigiert.

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