Diesmal
war ich theoretisch vorbereitet. Mein erster längerer
Auslandsaufenthalt ist elf Jahre her und ich habe das alles schon
einmal erlebt: In einer fremden Kultur ankommen. (Um so schwieriger,
wenn die Kultur einem am Anfang sehr vertraut vorkommt …) Ich hatte
mich also mental auf Schwierigkeiten eingestellt. Trotzdem hat mich
der Kulturschock wieder voll erwischt.
Ich
habe recherchiert: In der Regel tritt diese Enttäuschungsphase
zwischen Woche fünf und zwölf nach Ankunft im fremden Land auf.
(Wir sind jetzt gut sechs Wochen hier. Ich werde wohl noch eine
Weile brauchen, um mich wieder zu akklimatisieren.) Vorher fühlt man
sich ganz toll, wie im Urlaub eben, alles Neue ist spannend und
aufregend (diese Phase war diesmal sehr kurz für mich). Dann aber
muss man im Alltag zurechtkommen und oft funktioniert das nicht so
einfach. Traurigkeit, Einsamkeit und Gereiztheit sind
Begleiterscheinungen des Kulturschocks. Man fühlt sich übersehen
oder unfair behandelt. Selbst körperliche Krankheiten und
Schlafstörungen können auftreten! Es ist die Antwort auf die völlig
neue Umgebung, in der alles anders funktioniert.
Meine
Woche war voll von solchen Erlebnissen, in denen ich mir entweder
denke: Sind die alle bekloppt hier? Warum muss man das so machen? In
Deutschland ist das viel einfacher/logischer etc.
Oder: Ich bin zu dumm oder zu anders, um hier jemals ins System zu
passen. Ich verstehe diese Sprache einfach nicht usw. Solche
Situationen sind meistens sehr kleine Begebenheiten, in denen etwas
ein wenig anders funktioniert als zu Hause und an denen man wirklich
verzweifeln kann. Wenn man dabei von einer Zweijährigen begleitet
wird, die es schafft, in genau diesen Momenten am lautesten
rumzunerven, weil sie merkt, dass Mama nervös ist, liegen die Nerven
erst recht blank.
Tankstelle und Feuerwehr - alles ähnlich wie bei uns und doch anders. |
Beispiel
Tanken: Ich suche erst eine Weile und bin froh, dass ich überhaupt
eine Tankstelle finde. Ich weiß: Hier bezahlt man am besten immer
mit Karte. Ich zücke also meine Bankkarte und gebe meine
Geheimnummer ein: Falsch. Ich probiere es noch mal: Wieder falsch.
Mein Kind fängt an zu rufen: Mama! Mama! Ich gehe zum Häuschen, in
dem eine Frau sitzt. Hier gibt es das zum Glück, eine echte
Ansprechperson! Es ist eine Asiatin. Oder eine asiatische
Amerikanierin. Ich frage, ob ich auch bar bezahlen kann. Sie
beantwortet meine Frage nicht und sagt, ich müsse den ZIP-Code
eingeben. Ich verstehe sie kaum, sie hat einen starken asiatischen
Akzent. Ich frage sie, ob das der ZIP-Code ist, wo ich wohne. Sie
antwortet, aber ich verstehe nicht, was sie meint. Sie redet von
Billing Adress, ich weiß aber nicht, ob das nun die Postleitzahl
meiner Bank oder meine eigene ist. Inzwischen schreit mein Kind im
Auto herum. Ich habe Schweißausbrüche. Die Frau sagt noch, ich
könne auch bar bezahlen, aber nur VOR dem Tanken.
Ein
Mann, der in der Schlange hinter mir stand, geht mit mir zur
Zapfsäule und zeigt mir, wie es geht. Ja, es ist die Postleitzahl
meiner Wohnung hier! (Zum Glück habe ich meine amerikanische Karte
genommen, was passiert erst mit meiner deutschen Kreditkarte und
einer deutschen Postleitzahl?!) Als ich ca. 2 Gallonen getankt habe,
(was auch immer das in Litern ist...), streikt die Zapfsäule. Ich
kann nicht weitertanken. Ich gebe völlig entnervt auf und fahre nach
Hause. (Ich will gar nicht ausrechnen, wieviele Miles per Gallon ich
hier fahren kann – das Äquvalent zu verbrauchten Litern pro 100
km.) Für mich ist das gerade Schwerstarbeit, hier alles in Kürze
neu zu lernen, wofür ich in Deutschland Jahre lang Zeit hatte.
Ich
habe gelesen, das man in der Erholungsphase Verständnis für die anderen Herangehensweisen entwickelt und versucht sie zu verstehen.
Das ist die Voraussetzung, sich in der neuen Kultur anzupassen und einzufügen. Verlässt
man in der Kulturschock-Phase das Land, kann das zu Fremdenhass
führen. Auch gibt es Studien, die belegen, dass diejenigen, die
einen Kulturschock erleiden, später mehr Verständnis für die neue
Kultur zeigen, als diejenigen, bei denen diese Tiefphase nicht so
sehr ausgeprägt ist. Ich hoffe also, das es mir zum Guten nützt.
Noch verkrieche ich mich und denke ein ums andere Mal, wieso tue ich
mir das eigentlich an?
Falks Arbeitsplatz - von der kalifornischen Sonne sieht er hier nichts! |
Meinem
Mann ergeht es nicht so schlecht hier, aber sein Alltag hat sich auch
nicht dramatisch vom deutschen geändert. Schon in Leipzig hat er auf
der Arbeit Englisch gesprochen und zu Hause Deutsch. Die Ausstattung
an der Uni in Berkeley war für ihn zwar enttäuschend im Vergleich
zu seinem Arbeitgeber in Leipzig. Auch arbeitet er in dem
Tageslichtlosen Teil des Gebäudes, der von den Studenten nur „Das
Verließ“ genannt wird. Aber das scheint ihn nicht so sehr zu
stören. Die alltäglichen „Kleinigkeiten“ erledige ich für die
Familie.
Nun
ist Falk auch noch für ein Bewerbungsgespräch für fünf Tage nach
Deutschland geflogen. Ich muss also allein mit unserem Kind hier
bleiben und Schritt für Schritt, den Alltag weiter organisieren. Die
nächste Herausforderung wartet schon auf mich: Geld überweisen. Das
machen die hier anscheinend nicht so oft. Wir haben endlich einen
Tagesvater für Helene gefunden! Normalerweise bezahlen die Eltern
den mit Schecks. Bei uns geht das nicht ... aber davon erzähle ich vielleicht ein anderes Mal mehr.
Heute
ist Frühlingsanfang. Irgendjemand hat mich darauf hingewiesen, und
es hat mich total überrascht. Das war noch so ein Moment des
Kulturschocks: Hier ist doch immer Frühling! Wieso erwähnt das
jemand so, als ob es ab jetzt aufwärts geht?! Ich hoffe wirklich
sehr, dass diese Phase schnell vorbei ist … Denn eines will ich
nicht: Ich will nicht nach Deutschland. Komischerweise vermisse ich
Deutschland bis jetzt kaum (abgesehen von den Menschen), vielleicht
weil mein Abenteuergeist noch nicht ganz vergraben ist, und ich noch
viele Pläne für Unternehmungen hier habe!
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