Mit
Kindern ins Ausland zu reisen ist ein Wagnis. Das wird uns erst hier
richtig bewusst. Vielleicht waren wir zu naiv oder zu optimistisch.
Wir haben Helenes Bedürfnis nach Stabilität in diesem Punkt wohl
unterschätzt. Langsam beschleicht mich nämlich das Gefühl, dass,
hat sie sich endlich hier eingewöhnt, wir die Heimreise antreten und
alles von vorne beginnt!
Helene als Schaffnerin auf ihrem Lieblingsspielplatz |
Die
erste Woche schien es ganz einfach. Nur der Jetlag sorgte für ein
quengeliges Kind, aber ansonsten nahm unsere Tochter alles ganz
leicht. Sie ist ja auch ein sehr offenes Kind. Aber dann begann sie
von "ihrem Haus" zu erzählen, womit sie ihr Zuhause in
Leipzig meint. Sie trennt säuberlich alles, was hierher gehört von
dem, was wir mitgebracht haben. Das bezeichnet sie als "meins"
und das darf niemand nehmen, vor allem nicht die Nachbarsmädchen.
Das neue Haus ist dagegen "Astrids Haus", so heißt die
jüngere Tochter unserer Vermieter. Alles, was hier ist, gehört also
Astrid. Und selbstverständlich darf Helene damit spielen!
Gestern
hat sie uns außerdem erklärt, dass sie in Astrids Haus nicht aufs
Töpfchen gehen kann, sondern nur in ihrem eigenen Haus. Die
Windelfreie Zeit rückt damit in weite Ferne. Alles, was wir zu Hause
schon erreicht hatten, verweigert unser Kind hier. Neu ist auch, dass
sie immer behauptet, sie wäre noch klein und könne all die Sachen
nicht tun, um die wir sie bitten. (Selbstverständlich braucht sie auch
ständig ihren heiß geliebten Schnuller.)
Wenn
es ganz schlimm wird, sagt Helene: "Ich will mein Haus wieder
haben!" Sie tut mir dann so leid. Ich sage ihr, dass ich auch
manchmal Heimweh habe. Außerdem macht ihr die andere Sprache sehr zu
schaffen, weil die Kinder sie nicht verstehen. Wichtige Wörter wie
"Nein!" übergehen dann die Spielkameraden im Sandkasten. Oft
schaut Helene die Erwachsenen mit großen fragenden Augen an, wenn
die auf sie einreden. Sie versteht sie einfach nicht. Ihr eigenes
erstes englisches Wort war "Bye, bye!" - "Tschüß!".
Das sagt sie inzwischen sogar zu ihrem Papa, wenn der zur Arbeit
aufbricht.
Auf den Straßen von Berkeley cruisen wir im sportlichen Kinderwagen herum. |
Ich
dachte, dass der Kindergarten die Lösung aller Probleme wäre, denn
in Leipzig ist sie jeden Morgen quietschvergnügt zur Tagesmutter
aufgebrochen. Gestern haben wir uns eine so genannte Pre-School
angeschaut. Über die horrenden Kosten will ich mich nicht aufregen,
denn Falks Stipendium kommt dafür auf. Gott sei Dank! Kinder sind
wie alles andere in Amerika Privatsache, also müssen die Familien
die Betreuung selbst bezahlen. Da kommen für einen Vollzeit-Platz
locker 1.500 bis 2.000 Dollar im Monat zusammen. Mich erstaunt aber,
dass das Angebot trotzdem nicht berauschend ist, und der freie Markt
eben nicht regelt, dass es genug gute Betreuungseinrichtungen gibt.
Es ist hier genauso schwer wie in Leipzig, einen Platz zu finden.
Unsere gestrige Tour endete damit, dass Helene und ich beide froh
waren, dass wir wieder gehen konnten! Es handelte sich bei dieser
Vorschule um einen großen, eher schmuddeligen Kellerbau plus einem
mit Kunstrasen ausgelegten Hof, auf dem Plasterutschen standen. Die
Organisation schien sehr chaotisch und Helene fühlte sich sichtlich
unwohl und sagte mir ständig, dass sie gehen will.
Heute
habe ich dann mit Helene das gemacht, was amerikanische Mütter
anscheinend machen, wenn sie keinen "Day-Care"-Platz
bekommen: Ich habe ein eigenes Unterhaltungsprogramm für mein Kind
aufgestellt. Hier gibt es etliche Einrichtungen, die den Eltern dabei
helfen, und bei denen man überall gegen entsprechendes Endgeld
Mitglied werden kann. (Man sieht aber vor allem auch sehr viele
spanisch sprechende Nannys, die mit den ihnen anvertrauten Kindern so
ein Programm absolvieren oder auf die Spielplätze gehen.)
Rieseninsekten in der Lawrance Hall of Science |
Ich
bin also mit Helene in die Lawrance Hall of Science der Universität
Berkeley gegangen, denn immerhin ist sie ja Tochter eines
Wissenschaftlers und wir bekamen deswegen auch 10 Dollar Rabatt auf
unseren Familien-Jahres-Pass. (Ab jetzt schleifen wir jeden dorthin,
der uns besucht!!!) Glücklicherweise liegt dieses Kinder-Museum der
Wissenschaften bei uns quasi um die Ecke. Helene war begeistert! Sie
hatte keinerlei-Angst vor den gigantischen Nachbauten von Käfern und
Spinnen, lernte Zählen und matschte im Sand. Zum Lunch gab es Pommes
und für die Mutti einen Cheese-Burger. Dabei genossen wir die beste
Sicht auf die San Francisco Bay, die man sich vorstellen kann. Ich
lernte auch etwas über die Erdbebengefahr hier, aber das habe ich
schnell verdrängt, denn ich will lieber nicht darüber nachdenken,
solange wir hier wohnen. (Ich glaube, das machen die hier alle so
...)
Berauschender Blick über die San Francisco Bay - zum Vergrößern anlicken! |
Helene
macht außerdem etwas, was mir auch sehr amerikanisch vorkommt: Sie
darf hier mehr Fernsehen als zu Hause. Naja, es sind DVDs vom Kleinen
Maulwurf und der Biene Maja und ab und zu noch der Sandmann. Mickey
Mouse und Co. hat sie noch nicht entdeckt. Aber bald wird sie auch
das herausfinden.
Das
beste ist aber die Stadtbibliothek in Berkeley: Die Kinderabteilungen
der einzelnen Stadtteilbibliotheken sind großartig, und Helene und
ich haben dort schon Stunden verbracht. Wir leihen uns viele
Kinderbücher aus, durch die auch ich besser Englisch lerne. Denn
Kinderbücher lesen ist in einer Fremdsprache eben einfacher als
Prosa. Außerdem ist die Mitgliedschaft kostenlos, was fast schon
sozialistisch anmutet in diesem Land! Morgen werde ich mit Helene das
erste Mal Brownies backen - das Rezept haben wir uns aus einem
Kinderkochbuch ausgesucht.
Zum Glück liebt Helene ihr neues Bett und ihr Elefant hilft ihr beim Einschlafen |
Ich
versuche also, unserer Tochter Amerika im wahrsten Sinne des Wortes
schmackhaft zu machen und hoffe, dass sie so das Heimweh überwindet.
Auch bleibe ich auf der Suche nach einer Tagesbetreuung für sie,
weil wir wollen, dass sie irgendwann Englisch versteht und weil sie
gern mit anderen Kindern zusammen ist. (Das Teilen kann sie so auch
besser lernen.)
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